Der Wald der Könige
einer Lampe. Es war sogar noch hübscher, als Tom es in Erinnerung hatte. Und obwohl Mary schwieg, merkte er ihr an, dass sie dasselbe dachte. Erst spät in der Nacht verließen sie die Scheune und verriegelten hinter sich die Tür.
Als Tom erwachte, war der Tag bereits angebrochen. Die Sonne stand schon über dem Horizont. Er sprang auf. »Füttere das Pony«, flüsterte er. »Ich gebe dir Bescheid, wenn du kommen sollst.« Dann stürmte er aus dem Haus und lief den Pfad entlang zu John Pride. Er freute sich schon auf das Gesicht, das sein Schwager machen würde, wenn er nach Hause kam.
Der arme junge John saß mit Harry am Rand des Dorfangers und sah bleich und elend aus. Harry, der John auf Anweisung seines Onkels nicht aus den Augen gelassen hatte, berichtete, sie seien die ganze Nacht unterwegs gewesen. Nun würde John seinem Vater beichten müssen, dass das Pony durch seine Schuld davongelaufen war.
Tom hatte sogar ein wenig Mitleid mit dem Jungen. Schon versammelten sich die ersten Neugierigen. Toms Schwester, die taktvollerweise einen Verband um den Kopf trug, ein paar andere Dorfbewohner und viele Kinder, die alle gespannt auf die Rückkehr der Prides warteten. Tom wusste genau, was er sagen würde.
»Ist dir das Pony entwischt, John? Wie hat es das bloß geschafft?« Er selbst war schließlich mit dem jungen Pride zusammen gewesen, als es geschah. Der Sohn seiner Schwester hatte John das Pony auf der Heide gezeigt. »Es wird jetzt wohl irgendwo im Wald sein.« So würde seine nächste Bemerkung zu John Pride lauten. »Du solltest es besser suchen, John. Aber du hast ja ein Händchen dafür, Ponys zu finden.«
Doch das Beste kam erst noch. Sobald Pride auftauchte, sollte Harry loslaufen und Mary holen. Und dann würde Mary den Pfad hinaufkommen und rufen: »Oh, Tom, rate mal, was passiert ist. Ich habe gerade unser Pony entdeckt, wie es auf der Heide herumirrte.«
»Bring es besser in die Scheune, Mary«, würde er antworten.
»Das habe ich schon getan, Tom.«
Und was würde John Pride bei diesen Worten seiner Schwester tun? Was wollte er jetzt noch dagegen unternehmen?
»Ach, tut mir Leid, John«, würde Tom dann sagen. »Wahrscheinlich hatte es Heimweh.«
Das würde der schönste Augenblick seines Lebens sein.
Die Minuten vergingen. Die Nachbarn plauderten leise. Dicht über den Wipfeln der Bäume hing eine wässrig gelbe Sonne. Auf dem Boden lag immer noch Tau.
»Sie kommen!«, rief ein Kind. Da nickte Tom dem jungen Harry fast unmerklich zu, worauf dieser sich auf den Weg machte.
Nachdem Mary in die kleine Scheune gegangen war, um das Pony zu füttern, stand sie eine Weile reglos da. Zuerst hatte sie sich vor Erstaunen nicht vom Fleck rühren können und schließlich verdattert die Stirn gerunzelt. Dann blickte sie zum Heuboden hinauf, wo sie im Winter so viele glückliche Stunden mit Luke verbracht hatte, und nickte.
Das musste es sein, ganz sicher, denn eine andere Erklärung gab es nicht. »Bist du da?«, flüsterte sie, doch sie erhielt nur ein Schweigen zur Antwort. Sie seufzte. »Du findest das wohl sehr komisch«, murmelte sie. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Sie ging nach draußen, trat an den Zaun und spähte über die Heide zum Wald hinüber. Fast rechnete sie mit einem Zeichen, aber nichts regte sich. Selbst das Pony hatte sie für einen Moment vergessen, als sie traumverloren in die Ferne sah.
Offenbar wollte er ihr mitteilen, dass er in der Nähe war und über sie wachte. Ein freudiges Gefühl ergriff sie. Im nächsten Moment schüttelte sie den Kopf. »Was hast du jetzt bloß wieder angestellt, Luke?«, flüsterte sie.
In diesem Augenblick erschien der junge Harry.
Alles klappte wie am Schnürchen. Tom kicherte vor Freude und Aufregung in sich hinein. Er hatte sein Sprüchlein aufgesagt, und John Pride betrachtete seinen Sohn, der den Tränen nah war, mit finsterer Miene. Das ganze Dorf amüsierte sich königlich, während die Prides verlegen aus ihrem Wagen stiegen.
»Am besten siehst du nach, ob noch ein Tier fehlt!«, rief Tom. »Vielleicht haben sie sich ja alle aus dem Staub gemacht.« Dieser Satz war ihm eben erst eingefallen. Und er war so mit sich selbst und den Lachern, die er dafür erntete, zufrieden, dass er noch eins draufsetzte: »Könnte es möglicherweise sein, dass es deinem Vieh bei dir nicht gefällt, John? Ob die Biester wohl dein Gesicht nicht mehr sehen können?«
Nun bogen sich alle vor Lachen. Tom blickte den
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