Der Wald des Vergessens
für sie wahrlich keine große Arbeit war. Meine Mutter fehlte mir zwar, aber davon abgesehen war es ein kleiner Kummer, nicht mitgenommen zu werden. Ich war mein eigener Herr und konnte nach Herzenslust durch die Gegend streifen.
Daß ich daran gewöhnt war, mir selbst überlassen zu sein, bestimmte mich zusammen mit dem, was meine Mutter gesagt hatte, in der Fabrik anzufangen. Zwei Tage später fuhr ich in der Kutsche nach Kirkton, mit Mr. Grindal persönlich. Er verbrachte die meiste Zeit im Maisterhouse. In jenen Tagen kam er mir wie ein Riese vor, mit Brauen, die schwarz wie ein gepflügtes Feld wurden, wenn er die Beherrschung verlor, was völlig unvermittelt geschah und schrecklich war. Auf der Reise sprach er freundlich mit mir und schien über meine Wahl überrascht, aber auch erfreut zu sein. Er sagte, ich hätte Köpfchen, und wenn ich meine Nase nicht in Dinge stecken würde, die mich nichts angehen, würde es keinen Grund geben, im Leben nicht voranzukommen.
Aber ach, ich hatte in jenen ersten Monaten in der Fabrik keine Veranlassung, davon auszugehen, daß ich mein Glück machen könnte. Meine Hauptaufgabe bestand darin, unter den laufenden Maschinen hindurchzukriechen und den Abfall zusammenzukehren. Ich kann mir nichts Schrecklicheres als den Lärm, die schlechte Luft und die entsetzliche Angst in meinem jungen Herzen vorstellen, die ich in den ersten endlosen Tagen durchmachte. Kaum ein Augenblick verging, in dem ich nicht bitter bereute, mich gegen das sichere Dienstbotendasein auf Wanwood entschieden zu haben. Was immer mein Leben bringen wird, die langen, scheinbar endlosen Stunden hoffnungslosen Schreckens, die mein tägliches Dasein und meine nächtlichen Träume erfüllten, werde ich nicht vergessen …
Aber was man nicht ändern kann, muß man ertragen. Menschen sind sehr anpassungsfähig, besonders junge Menschen. Und schließlich bekam das, was mir anfangs wie ein sinnloses oder sogar böswilliges Chaos vorkam, Form und Gestalt. Ich hatte das Gefühl, daß ich die Dinge vielleicht doch bis zu einem gewissen Grad in der Hand hatte.
Ich war bei meinem Onkel George untergebracht, dem jüngeren Bruder meines Vaters. Seine Frau, meine Tante Sara, war gesundheitlich sehr geschwächt. Sie hatte sieben Kinder gehabt, von denen nur eins überlebt hatte, mein Vetter Stephen. Er war zwei Jahre jünger als ich, aber so ein winziges Kerlchen, daß er fünf hätte sein können.
Zuerst gefiel es Stephen nicht, daß ein älterer Junge über ihm war. Er war zwar der Sohn des Hauses, doch bei Jungen bestimmen immer die Größe und die Stärke die Reihenfolge. Aber ich glaube, als er erlebte, wie einsam und unglücklich ich in den ersten Tagen war, wurde ihm klar, daß ich keine Bedrohung für ihn darstellte. Und eines Abends traf ich auf meinem Heimweg von der Fabrik auf ein paar ältere Jungen, die ihn quälten, und ich habe einem von ihnen solch einen Knuff auf die Nase gegeben, daß sie, glaube ich, gebrochen war. Die anderen suchten mit ihm das Weite. Danach konnte ich in Stephens Augen nichts mehr falsch machen.
Onkel George kontrollierte die Arbeitszeit. Er war voll Bitterkeit über den Tod meines Vaters, wagte aber nicht, sein Maul zu sehr aufzureißen, weil er Angst hatte, seinen Job zu verlieren, der als gut und leicht galt.
Aber es gab andere, Gewerkschaftler, die eine kühnere Sprache im Mund führten, nicht nur über meinen Vater, das waren olle Kamellen, sondern über die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung, solche Dinge. Mr. Grindal haßte die Gewerkschaften und hätte niemanden eingestellt, der ihm offen gesagt hätte, daß er Mitglied war. Die Gewerkschaftsleute wußten das und hatten ihre Mitglieder insgeheim angeworben. Als Grindal es bemerkte, waren es bei weitem zu viele, als daß er sie hätte entlassen können, ohne daß es zu einem Stillstand seiner Fabrik gekommen wäre. Und gleichzeitig vieler anderer Fabriken in der Region, was ihm nicht den Dank der anderen Fabrikbesitzer eingebracht hätte.
Obwohl Onkel George wegen seines Bruders sehr verbittert war, mochte er die Gewerkschaften nicht leiden, weil sie ganz schön wenig getan hätten, als es um die Entschädigung ging. Er warnte mich davor, mich mit der Gewerkschaft einzulassen. Er begründete es damit, daß Mr. Grindal ein Auge auf mein Fortkommen geworfen habe, ich jedoch nicht weit kommen würde, wenn er glaubte, daß ich mit der Gewerkschaft gemeinsame Sache mache. Da ich noch ein Junge war und nur so viele Stunden
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