Der Wald des Vergessens
Sonntag?«
»Eigentlich nicht.«
»Wenn der Umschlag also nichts mit Ihnen zu tun hat, dann besteht auch keine Chance, daß Fingerabdrücke von Ihnen drauf sind?«
»Könnte nun natürlich der Fall sein, weil ich ihn gerade genau angesehen habe.«
»Versuchen Sie nicht, raffiniert zu sein, Jimmy. Für die Tonbandaufzeichnung: Der Umschlag befindet sich in einem Plastikbeutel für Beweismaterial, der versiegelt ist und Zeit und Datum trägt. In dem Umschlag ist etwas drin, Jimmy. Ein paar Tabletten. Wir haben eine entnommen und zur Analyse ins Labor geschickt. Haben Sie eine Ahnung, was dabei herauskommt?«
»Aspirin?« sagte Howard. »Hören Sie mal, ich weiß nicht, was in dem Umschlag ist, und ich weiß auch nicht, wie er in mein Auto gekommen ist, wenn Sie ihn dort gefunden haben. Und ich weiß auch nicht, wie meine Fingerabdrücke drauf sein können, es sei denn, jemand hat dafür gesorgt, daß sie schon drauf waren, bevor er den Umschlag in mein Auto gelegt hat. Der Umschlag sieht wie ein ganz normaler weißer Umschlag aus, wie sie bei uns im Büro rumliegen. So welche hab ich jeden Tag gleich mehrere in der Hand.«
»Und wer könnte ihn in Ihr Auto gelegt haben?«
»Gott und die Welt. Wenn man mal ein Bulle war, hat man Feinde, das müßten Sie doch am besten wissen. Selbst Sie könnten es gewesen sein, Sergeant Wield.«
Shirley Novello sah Wield besorgt an. Sie saß zum ersten Mal bei einer seiner Befragungen dabei, es war sogar die allererste förmliche Befragung, an der sie teilnahm, seit sie die Uniform ausgezogen und zur Zivilkleidung gewechselt war. Jeder hatte gesagt, sie sei verrückt, ihre Zukunft in die Hände des Dicken zu legen. Am ersten Tag war sie mit geschrubbtem Gesicht, straff zurückgebundenem Haar, Jeans und einem locker sitzenden Pullover aufgetaucht. Dalziel hatte sie von oben bis unten gemustert und dann gefragt: »Rock oder Lippenstift hast du wohl nicht? Gammelige Typen rennen hier schon genug herum.« Die anderen hatten gelacht und sie mit jeweils unterschiedlicher Vorsicht oder Herablassung behandelt, bis sie sahen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Nur Wield hatte sie, soweit sie erkennen konnte, nicht in eine Schublade gesteckt, sondern einfach als eine vom Team akzeptiert. Diese Tatsache und sein Ruf, beim Befragen von Verdächtigen unerbittlich zu sein, lieferten ihr zwei gute Gründe, den Verlauf der Dinge mit Sorge zu beobachten.
»Warum sagen Sie das, Jimmy?«
»Sie sind doch neulich zu mir gekommen, oder etwa nicht? Haben mich unter Druck setzen wollen, daß ich über meine Arbeitgeber etwas Nachteiliges sage. Als ich mich geweigert habe, haben Sie mich gewarnt, ein ehemaliger Bulle, der eine Vorstrafe für Alkohol am Steuer hat, sollte es besser wissen, als einem alten Kollegen die kalte Schulter zu zeigen. Ich hab Ihnen gesagt, Sie könnten mich mal und sollten mich in Ruhe lassen.«
Nicht übel, mußte Wield einräumen. Er hatte Howard unterschätzt, hatte vergessen, daß der Typ viele Jahre Polizist gewesen war, und zwar einer von denen, die Bescheid wußten. Kaum hatte er den Umschlag gesehen, wußte er, daß er sich jeden Kuhhandel abschminken konnte. Und da ihm klar war, daß auf Band aufgenommene Befragungen als Beweismittel zweischneidig sein konnten, hatte er keine Minute verloren, zurückzuschlagen.
Er wußte natürlich nicht, daß Wield gesehen hatte, wie Jane Ambler ihm den Umschlag gab. Das Drogendezernat knöpfte sich gerade Jane Amblers Wohnung und gleichzeitig Howards Haus vor. Dazu waren alle Leute im Einsatz, und deshalb konnte Wield sich den Ex-Polizisten als erster vorknöpfen.
Nun überraschte er Howard und Shirley Novello, indem er sagte: »Ich glaube, das reicht erst einmal. Ende der Befragung um 18.43 Uhr.«
Er streckte den Arm über den Tisch, legte den Schalter um, stand auf und sagte gähnend: »Langer Tag, Jimmy. Für Sie auch. Ich bring Sie in die Zelle zurück.«
Auf dem Weg den Korridor hinunter sagte er: »Jimmy, Sie hätten Ihren Anwalt dabeihaben sollen. Er hätte Ihnen viel Kummer ersparen können. Er hätte Sie davon abgehalten, sich noch tiefer reinzureiten.«
»Was soll denn das schon wieder heißen? Machen Sie sich Sorgen, Sergeant? Sie haben allen Grund dafür. Es wird Scheiße regnen und nicht zu knapp, und etwas bleibt immer haften.«
»Daß ich Sie unter Druck gesetzt hätte, meinen Sie? Nie und nimmer. Nicht, wenn Jane Ambler auspackt.«
Er hielt inne und wartete die Wirkung des Namens auf Jimmy Howard ab. Der
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