Der Wald des Vergessens
oben im Maisterhouse, aber als sie schwanger wurde und heiratete, mußte sie natürlich den Dienst verlassen und ist in die Nummer 13 von Miter Lane gezogen, wo ich geboren wurde. Mein Vater hat in Grindals Mill am Webstuhl gearbeitet. Er war ein guter Arbeiter, hatte aber eine Schwäche für den Alkohol, was zur Sprache kam, als er verunglückte. Der Leichenbeschauer sagte, den Aufseher und den Manager treffe kein Verschulden. Ich war damals fünf, alt genug, um zu hören, daß man von Entschädigung sprach, aber nicht alt genug, um zu verstehen, was es bedeutete. Als ich nachfragte, sagte man mir, es bedeute verhungern oder nicht verhungern. Ich erinnere mich, meine Mutter gefragt zu haben, ob wir verhungern müßten. Sie sagte, sie hoffe, daß Gott für uns sorgen würde. Am nächsten Tag erfuhren wir, daß Mrs. Grindal einen Sohn geboren hatte und daß Mr. Grindal sie zum großen neuen Haus schicken wollte, das er auf dem Land hatte bauen lassen, weil da die Luft besser ist. Man holte meine Mutter. Sie sollte Mrs. Grindal als Kindermädchen begleiten. Ich glaube, man wollte nicht, daß ich mitkomme, aber meine Mutter sagte, sie könnte mich nicht zurücklassen. Also hieß es, daß ich mitkommen könnte. Alle Männer sagten, das sei wegen der Entschädigung. Einige wollten meine Mutter überreden, nicht aufs Land zu gehen, aber ich war froh, als sie sagte, daß sie gehen würde, weil sie nicht verhungern wollte.
Das neue Haus hieß Wanwood. Ich wohnte im Kutscherhaus bei den Kutschern, wohingegen meine Mutter im Kinderzimmer bei dem Baby wohnte. Es war ein armes Würmchen, sagte sie. Während der ersten Monate bangten sie so manches Mal um sein Leben. Ich denke, niemand hatte soviel Angst wie ich. Die Kutscher sagten nämlich, wenn es sterben würde, müßten meine Mutter und ich mit Sicherheit wieder zurück nach Kirkton. Und da würden wir mit Sicherheit verhungern.
Ich habe eifrig gebetet, damit sein Leben gerettet wurde. Ich wußte aber, daß ich in Wirklichkeit betete, um mein eigenes Leben zu retten, und so wußte ich nicht, ob meine Gebete zählten. Dann kam Mrs. Grindals Bruder, Mr. Sam Batty, nach Wanwood. Er war bekannt dafür, ein großer Wissenschaftler zu sein und so manchen heilenden Trunk und manche Salbe zu kennen. Er überwarf sich mit dem Arzt, der das Haus mit den Worten verließ, wenn dem Kleinen etwas passieren würde, dann wüßte man, wer daran schuld ist. Aber es ist nichts passiert. Vierzehn Tage später hatte der kleine Junge zugenommen und Farbe bekommen. Ob das an meinen Gebeten lag, an den Pülverchen des Mr. Sam oder selbst an den Arzneien des alten Doktors, wußte ich nicht, und es war mir auch nicht wichtig. Wichtig für mich war, daß ich auf Wanwood bleiben, meine Mutter wenigstens einmal am Tag sehen durfte und doppelt so häufig eine ordentliche Mahlzeit bekam.
Ich machte auch einen Anfang mit der Schule, denn ich mußte jeden Tag in die Dorfschule laufen, acht Kilometer. Meine Mitschüler waren nicht nett zu mir, weil ich in ihren Augen nur ein blöder Junge aus der Stadt war. Aber sechs Jahre Kirkton hatten mich gelehrt, mich zu wehren. Als ich ihnen die Zähne zeigte, haben sie schnell gelernt, mich in Ruhe zu lassen.
Dort verlebte ich also fünf oder sechs glückliche Jahre, bis es hieß, es sei an der Zeit, daß ich meinen Lebensunterhalt selbst verdiene. Ich könnte das im Haushalt tun, als Junge für alles, und dabei bis zum Lakai aufsteigen, oder ich könnte in der Fabrik in Kirkton anfangen.
Ich fragte meine Mutter, was ich wählen sollte. Ich ging davon aus, daß sie sich für den Haushalt erwärmen würde, aber sie überraschte mich damit, daß sie sagte, es ist ein schlechtes Leben, immer von der Lust und Laune ihrer Herrin abhängig zu sein, besonders für einen Mann. Sich als Diener den Respekt zu erarbeiten, der einem Mann zusteht, ist schwer, sagte sie.
Ich war jung, aber nicht so jung, um nicht zu begreifen, daß es ihr schwergefallen sein muß, mir das zu sagen. Wanwood war mehr als fünfzig Kilometer von Kirkton entfernt, wo das Maisterhouse zwar noch immer als Familiensitz aufrechterhalten wurde, Mrs. Grindal sich aber selten aufhielt. Sie teilte ihre Zeit zwischen Wanwood auf, dem Londoner Haus, das man gekauft hatte, und einem gemieteten Haus an der See, in der Nähe eines Ortes namens Cromer, wo die feinen Leute hingingen. Die beiden letzteren Häuser habe ich nie gesehen. Ich blieb immer unter der Aufsicht der Haushälterin in Wanwood, was
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