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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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selbst.
    Nach den ersten Vorstößen am letzten Julitag nahmen die gegnerischen Streitkräfte ihre neuen Stellungen an der Front ein, die sich von den alten nicht allzusehr unterschieden, und man bewarf sich mit Granaten und Bomben, während die gelegentlich durchbrechende Sonne die Oberfläche des Sumpfgebiets so weit trocknete, daß das alliierte Oberkommando den nächsten Vorstoß ins Auge faßte. Hauptziele waren das Dorf Langemarck links vom Ypernbogen, mit dem Wald von Glencorse zur Rechten. Der Angriff sollte am 13. August beginnen. Am 11. August begann es wieder zu regnen, und es regnete und regnete und regnete …
     
    … und regnete! Nach dem Eröffnungsangriff waren wir von der Frontlinie zurückgekommen. Das Wetter hatte sich etwas gebessert. Sonnenschein und Schauer. Gertie war wieder in seiner alten Verfassung. Ich wußte, wie er sich fühlte. Zum ersten Mal unter Beschuß, und er hatte überlebt. Man hat das Gefühl, gerade vom Zahnarzt zu kommen. Es war teuflisch gewesen, aber es war vorbei. Und von jetzt ab würde alles in Ordnung sein.
    Nur daß es natürlich nicht zutrifft. Man muß es wieder tun. Und wieder. Und wieder. Und es wird nie besser. Und wenn du das kapiert hast, kommt die eigentliche Bewährungsprobe.
    Aber Gertie fühlte sich erst einmal wie ein Held. Feiertag zu Hause, sagte er. Alle fahren zur Küste. Ich wünschte mir, ich wäre dabei, Sir, sagte ich.
    Nein, sagte er. Hier sind wir besser dran. Überleg doch mal, um wieviel sie den Preis für Eis an einem Feiertag hochsetzen.
    Nun ja, es war alles eine Weile lang ganz nett. Aber ich wußte, je länger die Sonne schien, desto wahrscheinlicher wurde ein weiterer Vorstoß. Und, wie konnte es anders sein, am 10. wurden wir der Reserve zugeteilt. Und, wie konnte es anders sein, am 11. setzte wieder der Regen ein.
    Es heißt, die Bombardierung hätte die Deutschen in Glencorse wirklich erwischt, sagte Gertie. Ich hab meine Zweifel, daß wir diesmal überhaupt nach vorn müssen.
    Ich erwischte Jammy, wie er mich ansah, ob ich derselben Meinung bin. Ich hab nichts gesagt. Ich wußte nur, daß die Hunnen in Glencorse jede Menge Bunker hatten und daß ich noch nie zur Reserve eingeteilt worden war, ohne daß wir nach vorn mußten.
    Aber man hofft gegen alle Hoffnung. Wenn man das Pfeifen hört und das Auflodern der Flammen sieht und weiß, da vorn, am anderen Ende vom Sanctuary Wood, geht es los, denkt man, vielleicht verläuft es ja diesmal wie geplant. Uns ist kalt, wir sind naß in unseren verschlammten Unterständen. Aber niemand beklagt sich. Da hinten in Glencorse Wood geht es heiß genug her, Bomben und Kugelregen und Männer, die im Nassen liegen und nach Wasser schreien. Vielleicht werden wir diesmal nicht nach vorn geschickt, aber ich weiß, daß es der Fall sein wird. Ich weiß, daß Gertie noch lernen muß, daß es so etwas wie »am schlimmsten« nicht gibt. Daß es immer noch schlimmer kommen kann. Und die einzige Methode, wie man die Fritzen aus ihren Betonbunkern holen kann, besteht darin, unsere Toten so hoch vor ihnen aufzutürmen, daß ihnen die Sicht zum Schießen versperrt ist.
     
    Es dauerte länger, als ich gedacht hatte, bis wir den Marschbefehl erhielten. Nicht, weil es besser lief, sondern weil es so schlecht lief, daß kaum jemand übrig war, der die Meldung nach hinten überbringen konnte.
    In einer Schlacht weiß man immer erst hinterher, was man gemacht hat. Während man es macht, weiß man nur das, was man genau vor sich sehen kann. Und wenn das eine verdammte pockennarbige Einöde ist, ein Stoppelfeld erbärmlicher Baumstümpfe, die mal Bäume waren, und wenn es nicht die geringste Sonne gibt, um dir einen Hinweis auf die Richtung zu geben, dann kannst du ebensogut irgendwo sein. Nur daß wir einen Hinweis hatten. Leichen. Hier hatte ohne Zweifel der erste Angriff eingeschlagen. Wie die Spur bei einer Schnitzeljagd wiesen uns die Leichen unserer eigenen Kameraden den Weg. Wir traten sogar auf sie. Da war nichts zu machen. Und davon abgesehen verhinderten sie, daß wir im Schlamm untergingen.
    Ich konnte Gerties hektisches Geschrei hören. Er feuerte uns an, als wäre er bei einem Fußballspiel. Er sprach nur etwas zu hoch. Etwas zu schnell. Dann kam es plötzlich zu einem Stillstand, und ich dachte, es hat ihn erwischt! Doch als ich an der Reihe entlang nach vorn spähte, sah ich, daß er nur stehengeblieben war, wie beim ersten Mal. Mund weit auf, wie ein Huhn mit Schnabelsperre. Er starrte auf einen Kopf,

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