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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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meine Hausärztin auf, die mich erst einmal aus dem Verkehr zog. Verschiedene Untersuchungen ergaben, dass ich völlig erschöpft und ausgebrannt war, also einen Burn-out hatte.
    Neben der Einnahme von Medikamenten, die meinen Zustand wieder erträglich werden ließen, begann ich eine Psychotherapie, die zwei Jahre dauerte. Hier konnte ich mir mit fachlicher Hilfe vor allem zwei wichtige Erkenntnisse erarbeiten: Erstens nahm ich jeden Misserfolg persönlich, weil ich bis dato glaubte, für alle Fehlschläge verantwortlich zu sein. Und zweitens definierte ich mich selbst zu stark über meine Leistungen. Besonders belastet hatten mich dabei die Auseinandersetzungen mit den Jägern. Die wildzerfressenen Wälder, die ständigen Rückschläge trotz vordergründiger Beteuerungen, doch nur zum Wohle des Walds zu han deln, das hatte mich an meinen Fähigkeiten zweifeln lassen, alles Notwendige getan zu haben.
    Heute weiß ich, dass das so nicht stimmt. Vor allem ein Satz meiner Therapeutin klingt noch immer in mir nach: »Sie sind nicht Gott! Zu allen zwischenmenschlichen Aktivitäten braucht es mindestens zwei, und wenn der andere nicht will, können Sie es nicht ändern.« So banal das klingt, für mich war diese Erkenntnis wie eine Befreiung. Und dennoch löste sie nicht alle Probleme. Denn das Wichtigste war, den inneren Antreiber in Rente zu schicken. Ich musste mich zwingen, nicht jede freie Minute mit scheinbar sinnvollen Tätigkeiten vollzupacken, mir meinen Urlaub zu gönnen, auch einmal pünktlich Feierabend zu machen und vor allem an freien Tagen wirklich nichts Dienstliches zu tun. Das ist für einen Förster schwierig, weil ja das Büro im eigenen Haus ist. Was sagen Sie Leuten, die abends an der Haustür klingeln, weil sie Brennholz kaufen wollen? Und wenn das Diensttelefon klingelt, soll es sich ausklingeln? Ich hatte das 25 Jahre anders gehandhabt und musste nun mühsam lernen, auch einmal an mich und meine Familie zu denken. Mein Arbeitgeber unterstützte mich beim Neustart tatkräftig. Eine echte Entlastung und einmalig für ein relativ kleines Revier war die zusätzliche Einstellung einer jungen Kollegin, die mir seither viel Arbeit und Sorgen abnimmt. Das Umfeld stimmt also mittlerweile und nun geht es nur noch an die Strukturen im Kopf. Neben der richtigen Zeiteinteilung und der wirklichen Nutzung von Erholungsphasen möchte ich gern mehr Gelassenheit gewinnen. Ein schönes Beispiel ist das Wetter, denn ein engagierter Förster kann die aktuelle Situation im Grunde nie genießen. Stürmt es, so können Bäume umstürzen. Scheint die Sonne über mehrere Tage, trocknet der Boden aus und die Borkenkäfer beginnen, Fichten und Kiefern anzuknabbern. Je länger eine Schönwetterperiode dauert, desto häufiger muss ich an den Klimawandel und die prognostizierte Trockenheit denken. Regnet es dagegen wie aus Kübeln, so weichen die Waldwege auf und werden durch die Lkw der Holzfirmen völlig zerfahren. Schneit es zu wenig, dann ergibt die Schneeschmelze kaum messbare Beiträge für das Grundwasser, schneit es zu viel, so müssen die Betriebsarbeiten eingestellt werden, wodurch die Einnahmen sinken und der Terminkalender in Unordnung gerät. Jedes Wetter hat also seine Tücken. Dennoch möchte ich es in Zukunft lieber etwas anders angehen. Ich möchte mich auch einmal an einem brausenden Herbststurm erfreuen, an einigen Wochen Sonnenschein und an prasselndem Regen. Wichtig ist nur, den Wald wieder so fit zu machen, dass er die eine oder andere Kapriole der Natur aushalten kann. Alles Weitere liegt außerhalb meiner Macht und sollte mich daher auch nicht mehr sorgen. Ich arbeite daran!
    Noch ein Wort zu den Tätigkeiten eines Försters. Wenn ich über meine Erkrankung rede, dann höre ich oft: »Überlastet? Erschöpft? Sie sind doch den ganzen Tag an der frischen Luft!« Ja, der Wald gefällt mir nach wie vor und ich kann mich an Bäumen nicht sattsehen. Die Arbeit im Revier macht mir nach wie vor viel Freude, aber sie kann auch sehr stressig sein. Um das weitverbreitete Bild vom Waldhüter, der mit seinem Hund zwischen den Bäumen umherstreift, zu korrigieren, schildere ich Ihnen einmal einen meiner typischen Arbeitstage.
    Der Wecker klingelt, es ist 6:30 Uhr. Da ich keine Anfahrt zu meinem Arbeitsplatz habe, gönnen wir uns den Luxus, nicht noch früher aufzustehen. Ich mache mich flott im Bad fertig und trabe los, zur Pferdeweide. Dort füttere ich unsere Reittiere. Nebenbei werfe ich einen Blick auf das

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