Der Wald - ein Nachruf
Bodentierchen auch so sehen?
Künstliche Taiga
Für die Hornmilben und Springschwänze war das noch nicht der Tiefpunkt. Denn auch wenn sich die Zusammensetzung der Blätter verändert, so sind es wenigstens noch Laubblätter. Richtig an den Kragen geht es den Bodentieren, wenn kurzerhand die Baumart gewechselt wird, wie das gang und gäbe ist. So ließ beispielsweise die bayerische Staatsforstverwaltung im Frühjahr 2012 Douglasien unter alte Buchen pflanzen. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte sich schon seit Monaten mit den schwindenden, mehr als 160 Jahre alten Laubwäldern beschäftigt und kritisierte das Bundesland heftig. Der Streit eskalierte, als ein Greenteam kurzerhand 2 000 Douglasiensetzlinge wieder ausgrub, in Töpfchen pflanzte und der Behörde vor die Tür stellte. 9 Erhitzte Podiumsdiskussionen und Drohungen von Strafanzeigen folgten, bis die Landesregierung ihrer Forstverwaltung ein vorläufiges Ende der Bewirtschaftung der ältesten Buchen- und Eichenwälder verordnete.
Auch in meinem Revier wurden vor 50 Jahren ganze Buchenwälder abgeholzt und anschließend mit Fichten oder Kiefern auf geforstet. Was zunächst banal klingt, ist jedoch die Zerstörung eines ganzen Ökosystems, denn Nadelbäume sind mit ganz anderen Arten vergesellschaftet. Ihre Nadeln sind sauer, enthalten ätherische Öle und sind für die Kleinstlebewesen der Laubwälder schlicht und ergreifend unverdaulich.
Dieser radikale Austausch hat in den letzten Jahrzehnten auf großer Fläche stattgefunden. Laubgehölze wurden zeitweise quasi als Unkraut betrachtet und von den Förstern entsprechend mit Chemie bekämpft. Die Wunderwaffe hieß Tormona, ein Abkömmling von Agent Orange, dem Entlaubungsmittel, das im Vietnamkrieg eingesetzt wurde und ganze Urwälder zum Absterben brachte. In Europa waren es zunächst Waldarbeiter, die den Stoff auf die Rinde von Buchen und Eichen pinselten. Kurze Zeit später starben die behandelten Exemplare ab und ihre Nachbarn gleich mit. Ganz nebenbei hatten die Förster so die Wurzelbeziehungen zwischen den Bäumen entdeckt, denn diese gaben mit dem Zucker leider auch das Gift an ihre Nachbarn weiter.
Tormona stand rasch im Verdacht, die Gesundheit zu gefährden, und daher wurde das Ausbringungsverfahren geändert. Statt der Waldarbeiter sollten nun Hubschrauber die Laubwälder groß flächig einsprühen. Angemischt wurde der Cocktail mit Dieselöl und damit flog man über die Mittelgebirge. Überall dort, wo sich der tödliche Schleier senkte, starben ganze Wälder. Allein in Eifel und Hunsrück waren es in den 1970er-Jahren Tausende Quadratkilometer, die so, meist unbemerkt von der Öffentlichkeit, ihren eigenen Vietnamkrieg erlebten. 10
Selbst 1984, während meiner praktischen Zeit, wurde uns auf einem Lehrgang noch beigebracht, wie Tormona in kleinem Rahmen anzuwenden sei. Dazu setzte man eine Glasampulle in einen Spezialhammer und schlug diesen fest gegen den Stamm. Das Glas drang ein, splitterte und gab die Flüssigkeit ins Holz ab. Wie viele giftige Abbauprodukte auch heute noch im Waldboden schlummern, weiß niemand. Offensichtlich möchte kein Förster mehr an dieses unrühmliche Kapitel erinnert werden oder noch einmal neuen Staub aufwirbeln. Tormona ist heutzutage in der Mottenkiste gelandet, Insektizide leider noch nicht.
Ob nun mittels Kahlschlägen oder Tormona, Ziel dieser Maßnahmen war es, die Laubwälder in Nadelforste umzuwandeln. Die Verwaltungen erhoben Fichte und Kiefer zum Sinnbild ertragsstarker Wirtschaft und setzten sie nun auf jede frei werdende Fläche. Damit hielt quasi die Taiga Einzug in Mitteleuropa.
Würde ich als Förster massenhaft Kokospalmen in meinem Revier pflanzen, dann verlöre ich schnell meine Stelle. Schließlich weiß jeder Laie, dass die Tropenbäume schon in milden Wintern erfrieren. Und selbst wenn es die Südländer hier aushalten könnten, liefe vermutlich die Bevölkerung Sturm gegen diesen Pseudowald. Kaum ein Vogel würde darin singen, kaum ein Regenwurm im Laub wühlen – unsere heimatlichen Mitgeschöpfe sind eben keine Kokosspezialisten.
Fichten, Kiefern oder Douglasien sind hier zumeist ähnlich fremd. Sie passen in vielen Gebieten weder zum Klima noch zu Flora und Fauna, aber immerhin erfrieren sie im Winter nicht, ganz im Gegenteil. Denn anders als Kokospalmen sind sie Kälte spezialisten, die zwar zumeist ebenfalls von weither zugereist sind, allerdings aus der entgegengesetzten Richtung stammen. Ihre ursprüngliche Heimat ist,
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