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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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die arme Liese, das hat sie wirklich nicht verdient. Erst die Scheidung ihrer Tochter, der ganze Krieg um das Haus und jetzt diese unselige Geschichte mit der Enkelin.«
    »Was für eine unselige Geschichte denn?«
    »Die Kleine ist schwanger, aber das soll keiner wissen. Sie haben sie weggeschickt. Dabei reden alle sowieso von nichts anderem.«
    »Ein uneheliches Kind? Das ist doch heute nicht mehr so schlimm, Mama.«
    »Wenn die Mutter gerade mal 14 ist?«
    Genau in diesem Moment hat Manni eine Eingebung: Sie werden das Mädchen, das sie suchen, nicht an der Schule finden. Sie müssen unter den ehemaligen Schülerinnen suchen, nicht unter den Abiturientinnen. Irgendwo gibt es vermutlich ein Mädchen, das von der Schule genommen wurde, weil es etwas mit seinem Lehrer hatte. Es ist das erste Mal, dass Manni eine seiner Ideen als Eingebung bezeichnen würde, und deshalb schaut er auf die Uhr. 17.08 Uhr. Er legt das Geschirrhandtuch aus der Hand.
    »Was meinst du mit weggeschickt, Mama?«
    »Na, weg eben. Irgendwohin, wo sie das Kind kriegen kann. Für eine Abtreibung war es zu spät, sie wollen es zur Adoption freigeben. Was für eine schreckliche Geschichte.«
    Die Direktorin wird ihm weiterhelfen können. Sie muss ihm weiterhelfen. Die Auskunft verbindet ihn direkt weiter. Ein Anrufbeantworter, Himmelarschundzwirn. Er bittet um Rückruf. Dringend. Eine geschwängerte Minderjährige – da tun sich ganz neue Dimensionen auf. Die Ehefrau bleibt natürlich verdächtig, weil für sie eine solche Manifestation des Betrugs noch schwerer zu ertragen sein dürfte als eine simple Affäre. Aber noch ganz andere Motive fallen ihm nun ein: Eltern, die sich rächen wollen. Möglicherweise hatte das Mädchen auch einen Freund, der es dem offensichtlich potenten Nebenbuhler richtig heimzahlen will. Manni geht hinaus in den Garten, um diese Möglichkeiten am Telefon ausführlich mit dem Anfänger zu diskutieren. Sie beschließen, sich am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr vor der Schule zu treffen. Als nächstes ruft Manni Tanja Palm an, die jedoch zu seiner neuen Theorie nichts Erhellendes zu sagen weiß. Wieder einmal ist er dazu verdammt zu warten.
    ***
    »Erzähl mir von deinem Freund, Judith.«
    Es riecht intensiv nach Weihrauch, draußen wird es dunkel. Außer dem Aquarium sind ein paar Kerzen die einzige Lichtquelle im Raum. Sie kann Heiner von Stettens Gesichtszüge nicht genau erkennen, weil er mit dem Rücken zu seinen Fischen sitzt. Ihr Gesicht muss hingegen vom Licht des Aquariums gut ausgeleuchtet sein, ein klarer Vorteil für ihn. Schweiß läuft ihr die Schläfen herunter, ihr Mund ist trocken, ihre Lunge schmerzt.
    »Du musst atmen, Judith.« Die Stimme Heiner von Stettens schmeichelt. »Schließ die Augen und atme, ein und aus und ein und aus. So ist es gut.«
    Sie hat den Plastiksplitter vom Tatort schließlich im Saum ihres Mantels gefunden. Nach dem Mittagessen hat sie Laura mit dem Schreiner in den Wald gehen sehen. Das Mädchen führte den Hund der Försterin an der Leine und sah ausnahmsweise einigermaßen glücklich aus. Judith hat die Zeit genutzt, sich gründlich in Lauras Zimmer umzusehen, das unmittelbar neben ihrem eigenen liegt. Aus mehreren CD-Hüllen waren Ecken herausgebrochen. Sie hat so lange probiert, bis sie den Splitter vom Tatort passgenau in eine der Lücken fügen konnte. Sarah Connor – Green Eyed Soul, was immer das mit dem Tathergang zu tun hat.
    »Dein Freund, wie hieß er gleich?« Verschwommen nimmt sie Heiner von Stettens Stimme wahr.
    »Patrick.« Sie antwortet automatisch, ohne nachzudenken.
    »Patrick. Erzähl mir von Patrick, Judith.«
    »Er war so fröhlich.« Sie kann den kalten Schweiß unter ihren Achseln riechen und presst die Arme an ihren Körper. »So zuversichtlich. So – lebendig. Er hat so gern gelebt.«
    Heiner von Stetten erwidert nichts und es ist, als ob Judiths Worte von den Wänden auf sie zurückgeworfen würden, immer lauter, immer quälender. Abrupt öffnet sie die Augen. Heiner von Stetten sieht sie unverwandt an. Hypnotisiert er sie etwa? Sie fühlt sich plötzlich unendlich müde. Keines der Gästezimmer im Sonnenhof ist abschließbar. Sie hat die Beweisstücke beim Ersatzreifen im Kofferraum ihres Wagens verstaut und hofft inständig, dass niemand auf die Idee kommt, den Wagen aufzubrechen.
    »Du lebst, Patrick ist tot.«
    »Das sagtest du bereits mehrfach, ja.«
    »Ein schweres Erbe«, sagt der Sonnenhofleiter. Wie viel Zeit ist vergangen, seit

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