Der Wald ist schweigen
über einem Blumenladen, ich war nämlich selbst dort, um die Mutter zu bitten, ihren Entschluss nochmals zu überdenken. Eine intelligente Schülerin. Himmel, wie hieß sie noch gleich? Anna, Sarah, Lara – oder so ähnlich. Verweint sah sie aus, als ich da war, daran erinnere ich mich noch gut.«
»Wie alt?«
»17, denke ich. Frühreif war sie, ein ernstes Mädchen. Sie wäre jetzt in der zwölften Klasse.«
»Und die Mutter hat wirklich keinen Grund genannt, warum sie ihre Tochter von der Schule nehmen wollte? War sie vielleicht schwanger?«
»Nicht dass ich wüsste, nein. Obwohl das natürlich eine Erklärung wäre …« Traurig schüttelt die Rektorin den Kopf.
»Frau Nungesser ist verreist.«
Wieder einmal müssen sie mit einer Nachbarin vorlieb nehmen. Warten und mit Nachbarinnen sprechen. Es scheint, als seien das die Leitmotive bei diesen Ermittlungen. Macht aber nichts, denkt Manni, wir kommen doch voran. Seine Eingebung hat ihn nicht getrogen, das macht ihn richtig high.
»Wir suchen eigentlich die Tochter.«
»Oh, die wohnt hier nicht mehr, das arme Mädchen.«
»Wieso ›armes Mädchen‹?«, erkundigt sich der Anfänger.
»Na, ja, ich will ja nicht schlecht über meine Nachbarn reden, aber die Kleine musste wirklich einiges verkraften. Erst verschwindet der Vater auf Nimmerwiedersehen, dann plötzlich, nach jahrelanger Trauer, hat die Mutter einen neuen Freund. Und dann die Schwangerschaft.«
»Das Mädchen ist also schwanger.« Bingo, bingo, bingo.
»Das Mädchen auch? Um Gottes willen! Sind Sie da sicher?«
»Sie haben doch gerade gesagt, dass das Mädchen schwanger ist.«
Die Nachbarin schüttelt energisch den Kopf. »Das Mädchen doch nicht. Die Mutter! Von ihrem neuen Freund. Im Sommer, als sie die Kleine weggeschickt hat, hat man es natürlich noch nicht gesehen, aber jetzt schon. Ich will ja nichts Negatives über meine Nachbarin sagen, eine wirklich nette Frau, aber wenn man jetzt so darüber nachdenkt, dann sieht es schon ein bisschen so aus, als habe sie ihre Tochter aus erster Ehe tatsächlich weggeschickt, um ungestört eine neue Familie gründen zu können.«
»Weggeschickt« – genau das hat Mannis Mutter auch gesagt, als sie über ihre Nachbarschaft Rapport erstattete.
»Wissen Sie, wo sie jetzt ist?«
Die Frau schüttelt bedauernd den Kopf. »Ich habe keine Ahnung.«
Natürlich nicht. Nichts in diesem Fall ist einfach. Sie hinterlassen eine Nachricht auf der Mailbox des Mobiltelefons von Hannah Nungesser und schieben eine weitere unter der Wohnungstür durch.
»Sie muss doch eine Freundin gehabt haben, die etwas weiß. Mädchen in diesem Alter haben immer eine beste Freundin, der sie sich anvertrauen«, bemerkt der Anfänger altklug, obwohl er nicht so aussieht, als ob er sich mit Mädchen besonders gut auskennt. Aber wer weiß, vielleicht hat er eine Schwester.
Das Klingeln seines Handys enthebt Manni einer Antwort, er nimmt das Gespräch an, ohne aufs Display zu achten. Staco-Steff, na endlich, also hat Millstätt den doch noch auf Trab gebracht. Manni hört wortlos zu, was der Kollege zu sagen hat, und beendet das Gespräch mit einem forschen »Tschö«. Erst dann ballt er die Hand zur Boris-Becker-Faust und grinst den Anfänger an.
»Bestimmt hat unser Mädchen eine beste Freundin, und die darfst du jetzt gleich persönlich an der Schule ausfindig machen und interviewen.«
»Und du?«
»Ich fahr nach Köln und mach ein Lesepäuschen. Unser Staco-Steff hat nämlich endlich die Mailboxen der Wengerts geknackt. Also dann: Viel Glück bei deinem ersten Alleingang im Gelände. Halt dich an James.«
»James?« Der Anfänger guckt ratlos drein. Manni gibt ihm einen aufmunternden Klaps auf die magere Schulter.
»Hart, aber herzlich. Charmant, aber unnachgiebig. Und wenn du was rausfindest, ruf mich an.«
***
Der Jeep der Försterin rast auf sie zu, als Judith gerade ihren Kornblumen-Malventee in den Schnellbach kippt. Egal, wie oft sie es versucht, sie bringt dieses Biogebräu einfach nicht runter. Und Koffein, das sie wirklich dringend bräuchte, steht im Sonnenhof natürlich auf der No-No-Liste. Diana Westermann bremst, dass der Schlamm nur so spritzt. Ihre Augen sind beinahe so rund wie die aufgeblendeten Autoscheinwerfer. Sie scheint außer Atem zu sein, lehnt sich über den Beifahrersitz und stößt die Wagentür auf.
»Gut, dass ich Sie gleich treffe, Sie müssen mitkommen, schnell! Sie müssen … wir haben … an der B 55 … ich glaube, wir
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