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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Nieselregen fällt, das Morgengrauen hängt wie eine Ahnung über dem Tal.
    »Sag Laura viele Grüße und tausend Dank fürs Aufpassen.«
    »Klar, mach ich.« Ben nickt ihr zu und mustert sie prüfend. »Hattest du ein schönes Wochenende? Alles in Ordnung oben im Forsthaus?«
    »Wunderbar!« Sie lässt Ronja auf die Rückbank springen. »Tschüss, bis später. Ich muss los, bin schon spät dran.«
    Sie warten schon auf sie, unterhalb des Hangbestands an der
    B 55, zwei der erfahrensten Waldarbeiter, die die Fällarbeiten von Hand erledigen werden. Zwei Gesellen und ein Azubi mit Motorsägen, die die Fichten zum Abtransport bereitmachen sollen, und zwei Waldarbeiter mit den Rückepferden Bolek und Lolek, aus deren Nüstern der Atem in weißen Dampfwolken stiebt. Diana füttert die beiden Kaltblüter mit Fallobst aus ihrem Garten, während sie den Männern die Markierungen für die erste Rückegasse zeigt und erklärt, von wo nach wo sie sich vorarbeiten sollen. Um zehn wird Jo mit der Rückemaschine kommen, um die Stämme zu der nächsten Forstschneise zu schleppen, die für die schweren Holztransporter befahrbar ist. Den Harvester können sie hier an diesem Steilhang nicht nutzen.
    Sie setzen ihre Schutzhelme auf und machen sich an die Arbeit. In den vergangenen Wochen, seit die Holzernte begonnen hat, sind sie zu einem Team zusammengewachsen. Zum ersten Mal seit Diana die Revierförsterei im Schnellbachtal übernommen hat, fühlt sie sich wirklich wohl, anerkannt, dazugehörig. Auch das Gefühl, dass etwas an diesem Waldstück bedrohlich sein könnte, ist verschwunden. Gestern Nachmittag war sie mit Tom im Zoo, obwohl sie das eigentlich hasst, wilde Tiere im Käfig. Aber es war schön, ihm ein Stück von Afrika zu zeigen. Und er hat sie nicht mit offenem Mund angestarrt, sondern vernünftige Fragen gestellt. Er war ehrlich interessiert, so sehr, dass sie ihm später im Café sogar von Robs Affäre mit Kates Tochter erzählt hat. Und wieder hat er genau richtig reagiert, und dann haben sie auf einmal über Beziehungen gesprochen, über Männer und Frauen und Musik und Träume. Es ist wie Sex, mit dir zu sprechen, hat er gesagt und damit genau das ausgedrückt, was Diana fühlte.
    Langsam aber stetig arbeiten sich die Männer von der Schneise, die sie schon in der letzten Woche ins Tal geschlagen haben, den Hang hinauf. Stamm um Stamm schleppen die dampfenden Kaltblüter zur Rückemaschine hinunter, dirigiert von den lauten Befehlen ihrer Führer, die sie an der langen Leine halten, stoisch, auch wenn die Motorsägen noch so laut kreischen und die Ketten, an denen die Stämme befestigt werden, rasseln. Es ist so laut, dass Diana zuerst nicht merkt, wie anders das Rufen sich auf einmal anhört. Erst als die Sägen nach und nach verstummen registriert sie es, und im nächsten Moment ist einer der Männer auch schon bei ihr. Er sieht längst nicht so rotwangig und robust aus, wie eben noch. Schwer atmend lehnt er sich an eine Fichte.
    »Ich glaube, den Rest des Tages können wir vergessen, Chef.
    Dahinten in einem der Bombenkrater liegt eine Leiche. Und wie es aussieht, schon ziemlich lange.«
     
    ***
    »Die kleine Nungesser«, sagt die Schuldirektorin, »wie konnte ich die nur vergessen? Kurz vor Ende des Schuljahres hat ihre Mutter sie plötzlich abgemeldet, ohne ersichtlichen Grund. Ich wollte sie überreden, das nicht zu tun, die Kleine hatte einiges mitgemacht, ihr Vater ist verschollen. Außerdem war sie eine gute Schülerin, aber die Mutter ließ einfach nicht mit sich reden. Wie hieß das Mädchen doch gleich mit Vornamen? Warten Sie, gleich habe ich ihre Adresse. Komisch, wieso steht die denn nicht in der Kartei?«
    Manni und der Anfänger tauschen einen Blick aus. Eine ehemalige Schülerin, deren Karteikarte verschwunden ist. Das klingt viel versprechend und könnte erklären, warum sie die bislang nicht finden konnten. Immer hektischer wühlt die Rektorin in den Akten, ruft die Sekretärin zu Hilfe. Ohne Erfolg.
    »Ich verstehe nicht, wie das passieren kann. Es gibt wirklich für jede Schülerin eine Akte. Ihr Klassenlehrer war Andreas Wengert.« Die Rektorin hält inne. »Oh Gott, Sie glauben doch nicht etwa, dass da ein Zusammenhang besteht?«
    »Wir glauben gar nichts, wir müssen nur einfach alles überprüfen.«
    Das scheint die Rektorin zu erleichtern. »Ich kann das Mädchen beim besten Willen nicht in der Kartei finden. Aber ich weiß, sie wohnte in der Schillerstraße, ja, in der Schillerstraße,

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