Der Wald ist schweigen
Ewigkeit kommt der Jeep zurück. Manni sitzt auf dem Beifahrersitz. Wut und Fassungslosigkeit spiegeln sich auf seinem Gesicht, sobald er sie entdeckt.
»Ich bin raus«, sagt sie statt einer Begrüßung. »Ich habe hier nur noch den Tatort gesichert. Ja, ich hatte mich im Sonnenhof einquartiert, um auf eigene Faust zu ermitteln, aber jetzt fahre ich nach Köln und halte mich raus. Du kannst dich drauf verlassen.«
»Du schuldest mir definitiv noch einige Erklärungen.« Seine Stimme klingt mühsam beherrscht.
»Wann immer du willst. Ich bin in meiner Wohnung und sonst hast du ja auch meine Handynummer.«
Wenn Manni ihre Anwesenheit am Tatort ins Protokoll schreibt, ist sie endgültig erledigt, aber darauf hat sie keinen Einfluss mehr. Ihre Zukunft liegt in seinen Händen, ausgerechnet in Mannis Händen. Sie verabschiedet sich nicht, als sie den Sonnenhof erreicht hat. Steigt nur in ihren Passat und gibt Gas. Sich hingeben, sich ausliefern, sich hängen lassen. Es ist genau das, was Heiner von Stettens Tarotkarte empfiehlt. Wenn er wüsste, wie konsequent sie sich daran hält, würde er frohlocken. Als sie die Autobahn erreicht, beginnt sie zu lachen. Selbst für ihre eigenen Ohren klingt es viel zu bitter.
III. TEIL Licht
Jeden Tag einen kleinen Extrajob erledigen, ein kleines bisschen mehr Leistung bringen, als erwartet wird – mit dieser Strategie ist Kriminalkommissar zur Anstellung Ralf Meuser bislang gut gefahren und er hat nicht vor, nachzulassen. Natürlich weiß er, dass er für die Kollegen im KK II bislang trotzdem nur »der Anfänger« ist, eine Art williger Laufbursche, den sie nicht für voll nehmen. Aber damit kann er leben, vorerst zumindest, denn immerhin ist er dank seiner Strategie genau dort gelandet, wo er immer hinwollte, in der Mordkommission. Früher, in der Schule, haben sie ihn »Mäuserich« genannt. Das hat richtig wehgetan.
Der Telefonshop befindet sich direkt gegenüber dem Schillergymnasium, wo er in einer Viertelstunde, wenn die Pause beginnt, das Mädchen interviewen wird, das angeblich die beste Freundin der verschwundenen Laura Nungesser ist. Er blättert in seinem Ringbuch, bis er die Seite mit den Telefonnummern gefunden hat. Nur eine ist noch offen, die anderen elf hat er bereits abgehakt. Er überträgt die Nummer auf einen Notizzettel und legt ihn vor den dunkelhäutigen Telefonshop-Besitzer auf die Theke.
»Ein Gespräch nach Indien, bitte.«
Die Zelle ist so winzig, dass ihm nichts anders übrig bleibt, als sich auf den niedrigen Drehschemel zu setzen und das Ringbuch auf den Knien zu balancieren, wenn er etwas mitschreiben will. Das Wandtelefon beginnt zu klingeln. Er nimmt den Hörer und lauscht auf das Zirpen und Rauschen und das entfernte Surren eines Freizeichens. Er fährt zusammen, als diese Geräuschkulisse abrupt von einer Männerstimme unterbrochen wird, die etwas vollkommen Unverständliches in sein Ohr sprudelt. Im nächsten Moment hat er sich wieder im Griff, es ist schließlich sein zwölftes Telefonat nach Indien. Die Sonnenhof-Tante hat ihm drei Telefonnummern indischer Aschrams gegeben, aber als ihm dort niemand helfen konnte, hat er sich einen Abend zu Hause am Computer die Mühe gemacht, noch weitere Aschrams in der Nähe von Mumbay zu recherchieren. Es ist erstaunlich, wie viele es gibt, die offenbar auf eine westliche Klientel abzielen. Früher rannten die Leute in die Kirche, heute gilt das als verschroben. Dafür ist es hip, um den Globus zu jetten, um dann unter Anleitung orangegewandeter, kahlköpfiger Mönche wochenlang zu fasten, zu meditieren, zu turnen und zu chanten, was auch immer das sein mag.
»Do you speak English?« Er bemüht sich laut und deutlich zu sprechen. Statt einer Antwort klackt es in der Leitung, wieder ertönt das sphärische Sirren und gerade, als er überlegt, ob sie ihn wohl aus der Leitung geschmissen haben, meldet sich eine neue Männerstimme.
»Yes please, how may I help you?«
»I’m looking for a young woman from Germany. Her name ist Darshan. Darshan Maria Klein.«
»Darshan?« Trotz des Echos und des Rauschens in der Leitung hört er etwas im Tonfall des Mannes, das ihn aufhorchen lässt. Er beeilt sich zu erklären, wer er ist, warum er anruft, dass es um eine Routineermittlung geht, die nichtsdestotrotz keinen Aufschub duldet.
»I would sincerely like to help you«, sagt der Mann am anderen Ende der Welt, als Ralf Meuser seine Ausführungen beendet hat.
Ja, eine Darshan sei im Aschram angemeldet
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