weinende Frauen erinnern ihn an seine Mutter und deren ewig wiederkehrende Auseinandersetzungen mit seinem Vater, und das macht ihn hilflos. Er unterdrückt einen Fluch und macht sich auf die Suche nach jemandem, der die Försterin nach Hause fahren kann.
Dienstag, 11. November
Der Tag ist gerade mal vier Minuten alt, als Manni seinen GTI in eine Smart-fähige Parklücke vor dem Mietshaus manövriert, in dem Judith Krieger wohnt. Er ist hungrig wie ein Bär im Frühling, ebenso gereizt und seine Augen brennen wie nach einer durchzechten Nacht. Im Sonnenhof haben sie ihn eiskalt abblitzen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Dabei war er so siegesgewiss, als er dieser Laura Nungesser endlich gegenüberstand. Aber nix da, Fehlanzeige. Keinen Piep hat die Göre gesagt und dieser bleichhäutige Rotschopf, der sich als pädagogischer Leiter ausgibt, hat ihm freundlich erklärt, dass Laura minderjährig ist und deshalb ohne Anwesenheit ihrer Mutter keine Aussage machen wird, Punkt. Schade nur, dass sich Mutter Nungesser mit ihrem Liebhaber irgendwo in der Toskana aalt und bislang auf keine der Nachrichten reagiert hat, die Manni ihr aufs Handy gesprochen hat. Schade auch, dass die Sonnenhöfler ebenfalls wenig hilfreich in Sachen Darshan Maria Klein waren, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das Opfer aus der Schlammgrube handelt.
Immerhin haben sie ihr Dauerlächeln eingestellt, als er ihnen die Fakten des Tages darlegte. Schlauer ist er jetzt trotzdem nicht. Ja, eine Darshan habe mal bei ihnen gewohnt, und ja, sie habe blonde Zöpfe gehabt und oft ein violettes Samtkleid getragen, hat der Chef vom Sonnenhof bestätigt und bedauernd den Kahlkopf geschüttelt. Sie habe nach Indien gewollt. Am 6. Mai habe man im Aschram eine Abschiedsfeier für sie veranstaltet, ja, sicher, dafür gebe es eine Reihe von Zeugen. Man sei davon ausgegangen, dass sie am 7. Mai nach Indien geflogen sei. Dass und warum sie da nicht angekommen ist, sei leider nicht nachzuvollziehen. Und eine Adresse der Eltern hätten sie auch nicht, leider, leider sei die Akte verschwunden.
Manni knallt die Autotür zu. Es ist ihm nicht gelungen, diese Eso-Freaks zu knacken. Im Präsidium hat er mit dem Anfänger dann noch den Wengert’schen E-Mail-Verkehr der vergangenen zwei Jahre analysiert, aber auch das hat seine Laune nicht verbessert. Nichts, aber auch gar nichts haben sie gefunden, um seine Hauptverdächtige Juliane Wengert zu belasten. Und was den untreuen Gatten angeht: Es gibt ein paar himmelschreiend kitschige Korrespondenzen mit einer
[email protected], die ihre emotionalen Ergüsse mit L. unterzeichnet. Unglaublich, was manche Männer mit sich machen lassen, damit sie eine Nummer schieben dürfen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn diese L. nicht Laura Nungesser ist. Aber was hilft ihm das, wenn sie nichts sagt? Und wie passt das zweite Opfer ins Bild? In dem indischen Aschram, den der Anfänger ausfindig gemacht hat, meldet sich niemand, und bis sie alle vom Alter her in Frage kommenden Maria Kleins der Republik überprüft haben, dürfte es ein Weilchen dauern.
Viel länger als nötig drückt Manni auf den Klingelknopf der Krieger. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, dass seine Kollegin Teamarbeit leistet und ihre Karten auf den Tisch legt, auf ihren Schönheitsschlaf kann er jetzt keine Rücksicht nehmen. Es dauert lange, bis sich die in Ungnade gefallene Miss Superhirn vom KK II über die Gegensprechanlage meldet. Als sie ihm im fünften Stock die Wohnungstür öffnet, erschrickt er. Sie sieht fürchterlich aus. Alt, jedenfalls viel älter als 38, mit ihren rotgeränderten Augen und zerwühlten Haaren. In der linken Hand hält sie eine Kölschflasche. Zigarettenqualm wabert hinter ihr in den Flur, eine Oldie-Rockband lärmt, dass man kaum sein eigenes Wort versteht.
»Komm rein.« Sie macht eine unbestimmte Geste mit der Bierflasche. Wenn sie überrascht ist, dass er mitten in der Nacht vor ihrer Tür steht, lässt sie es sich zumindest nicht anmerken.
Vielleicht ist sie betrunken, überlegt Manni, obwohl sie ihn ohne das leiseste Schwanken über die Holzdielen eines schmalen Flurs führt. Das Wohnzimmer ist der Hammer, richtig, richtig cool, mit breiter Fensterfront auf eine Dachterrasse, die so perfekt versteckt über der Stadt schwebt, dass man darauf vermutlich nackt in der Sonne liegen kann. Einen Moment lang versucht er sich die Krieger unbekleidet auf einem Handtuch vorzustellen, wie sie genießerisch