Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
Vom Netzwerk:
lächelnd an einem Fruchtcocktail nippt. Vergiss es. Manni wendet seine Aufmerksamkeit wieder dem Wohnzimmer zu. Es ist bestimmt 40 Quadratmeter groß und angenehm sparsam möbliert. Über einem gigantischen blutroten Sofa hängen geschmackvolle Schwarz-Weiß-Fotografien einer südlichen Landschaft im Gegenlicht. Auf einem antiken Sekretär stapeln sich Papierberge, vor der Stereoanlage liegen CDs, Kassetten und etliche Vinylplatten in heiligem Chaos auf dem Parkett. Zielstrebig steuert die Krieger auf die breite Fensterbank zu, wo neben einigen Sitzkissen in einem übervollen Aschenbecher eine Kippe qualmt. Sie saugt hungrig daran und spült mit einem großen Schluck Bier direkt aus der Flasche nach.
    »Auch eins? Oder bist du noch im Dienst?«
    Es ist beinahe wie Lippenlesen, weil sich das Gitarrensolo aus der Stereoanlage soeben in ungeahnte Höhen wimmert. Entschlossen kniet sich Manni vor den Verstärker und schaltet ihn aus. Die Platte dreht sich trotzdem weiter. Er schiebt den Tonarm in die Ruheposition, hebt die LP vom Plattenteller. Solar Fire – auf dem Cover explodiert das Universum. Von der Fensterbank kommt kein Laut. Er schaut zur Krieger hinüber.
    »Wir müssen wissen, was du im Sonnenhof herausgefunden hast.«
    »Wir?«
    »Ich.«
    »Heißt das, du hast Millstätt nichts gesagt?«
    »Ich verpfeife keine Kollegen.« Er verkneift sich den Hinweis, dass er ihr das schon einmal gesagt hat. Auf dem Boden Liegende soll man nicht treten, das ist im Leben wie im Karatetraining. Nicht umsonst hat er den ersten Dan. Er beschließt, ihr stattdessen was zum Nachdenken zu geben. »Von deinem Zusammenstoß mit Juliane Wengert wusste Millstätt übrigens, weil ihr Anwalt sich über dich beschwert hat.«
    Lange sagt sie nichts, und als sie zu sprechen beginnt, ist ihre Stimme so leise, dass er den Anfang des Satzes nicht mitbekommt.
    »… es einfach nicht mehr aus. Die Alpträume. Die Erinnerung an Patrick, bei jedem Schritt, den ich im Präsidium mache. Den Druck, den ich mir selbst mache, trotzdem gute Arbeit zu leisten. Die Selbstvorwürfe, weil es eigentlich mein Einsatz war.«
    Er will sie unterbrechen, ihr sagen, dass es darum jetzt nicht geht, dass niemand, wirklich niemand im KK II ihr die Schuld gibt, aber mit jedem Wort gewinnt ihre Stimme an Kraft.
    »Ich will dich damit nicht belasten, keine Sorge. Damit muss ich selbst klarkommen. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dir in dieser Erlengrund-Geschichte von Anfang an keine Chance gegeben habe. Nicht, weil du etwas falsch gemacht hättest, sondern nur, weil du nicht Patrick bist. Weil ich mit allem hadere, seitdem.«
    Sie versucht ein Lachen, was gründlich misslingt.
    »Ich weiß, das klingt entsetzlich banal, aber je länger ich nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es letztendlich immer auf solche ganz einfachen Wahrheiten hinausläuft, quasi auf die Basics. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Angst vor dem Tod, das Scheitern an den Antworten darauf. Und wie wir damit umgehen.«
    Sie setzt sich endlich aufrecht hin und zum allerersten Mal bekommt er einen Eindruck davon, wie sie früher gewesen sein muss, vor dieser Sache mit Patrick. Geradeheraus, klar, souverän. Eine Top-Kollegin. Ein perfekter Kumpel. Sie blickt ihm direkt in die Augen.
    »Danke, Manni, dass du mich nicht bei Millstätt verpfiffen hast. Die Möglichkeit, dass ich zurückkommen kann, bedeutet mir viel, sehr viel. Und ich weiß, verdammt noch mal, sehr gut, dass ich das nicht verdient habe.«
    Er will irgendetwas Beschwichtigendes sagen, abwiegeln, aber ihm fällt nichts ein. Plötzlich ist es ihm peinlich, wie er sie wegen des Rauchens angemacht hat und wie er bei Millstätt darum gebeten hat, ohne sie ermitteln zu dürfen. Er räuspert sich.
    »Ist schon okay. Ich war auch nicht immer nett.«
    Die Andeutung eines Lächelns spielt in ihren Mundwinkeln, immer noch schaut sie ihn an. Dann drückt sie energisch ihre Zigarette aus und steht auf.
    »Komm, gehen wir in die Küche und brainstormen. Aber vorher brauch ich einen Milchkaffee und was zu essen.«
    Wie auf Kommando beginnt sein Magen zu knurren. Vorsichtig grinsen sie sich an.
    Die Pizza, die das Pizzataxi 25 Minuten später abliefert, ist göttlich, in flüssigem Käse schwimmende Peperoni, Zwiebeln und Salami, die eiskalte Literflasche Cola ist ein Lebenselixier. Judith Krieger hat sich für Oliven, Sardellen und Kapern als Belag entschieden und trinkt konsequent Milchkaffee. Sie essen mit den Fingern,

Weitere Kostenlose Bücher