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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Laura mir selbst sagen. Ich war bei ihrer Mutter und soll sie grüßen.«
    »Du hast kein Recht, hier einzudringen.« Mit sanftem Druck lotst Heiner von Stetten sie in sein Beratungszimmer, wo die Fische wie gewohnt an der Aquariumsscheibe auf und ab schwimmen und ein Räucherstäbchen vor sich hin glimmt. Hier endlich lässt er sie los.
    »Ich dachte, ich wäre hier Gast und könnte mich frei bewegen.«
    »Als Judith Krieger, ja. Nicht aber als Kommissarin.«
    »Ich bin als Judith Krieger hier.«
    Der Sonnenhofleiter neigt den kahlen Schädel ein wenig zur Seite, wie ein Adler, bevor er sein Beutetier zerlegt.
    »Ich möchte zu Laura.«
    »Sie ist krank, Schwertkönigin.«
    Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, wird stärker. Sie darf nicht nachgeben, darf sich nicht abwimmeln lassen. Aber sie hat keine Dienstmarke, keine Waffe, keine Macht. Der einzige Trick, der ihr einfällt, ist, an Heiner von Stettens Eitelkeit zu appellieren, ihn so zum Reden zu bringen. Ein alter, fader Trick. »Ich habe Lauras Mutter besucht. Sie sagt, ihre Tochter sei auf der Suche nach einem Vaterersatz. So war sie leichte Beute für einen allseits bewunderten, gut aussehenden Lehrer.«
    »Andreas Wengert.«
    »Und hier im Sonnenhof? Wer ist hier ihr Vaterersatz? Vedanja? Oder du?«
    »Ich dachte, du bist nicht als Kommissarin hier.«
    »Ich werde nicht gehen, bevor ich mit Laura gesprochen habe.«
    »Warum so stur, Schwertkönigin?« Sein Mund lächelt ein kaltes Lächeln.
    »Weil es um die Wahrheit geht.«
    »Die Wahrheit?« Jetzt lächelt er nicht mehr, sondern sieht sie aufmerksam an.
    »Die Wahrheit dahinter, hinter den Masken. Die Wahrheit, mit der jeder Einzelne leben muss, die Wahrheit, die ich brauche, um ins Innerste dieser Mordermittlung zu gelangen, nämlich zum Motiv des Täters.«
    Offenbar scheint ihm das zu gefallen. Er lädt sie mit einer Armbewegung ein, sich zu setzen, aber sie schüttelt den Kopf, denn wenn sie erst wieder mit ihm auf den Bodenkissen hockt, wird er sie in ihre eigenen Abgründe führen und dann wird sie die Kontrolle über dieses Gespräch verlieren, wie all die Male zuvor. Und genau das darf ihr nicht nochmal passieren. Kristallklar blitzt für den Bruchteil einer Sekunde ihr Traumbild auf, die Jagd über die Ebene, tief geduckt auf dem weißen Pferd. Das Pferd ist dein Instinkt, ein Teil deiner selbst, hat Heiner von Stetten in einer ihrer Sitzungen gesagt, und vielleicht hat er damit Recht. Sie sucht seinen Blick und glaubt noch etwas anderes in seinen dunklen Augen zu lesen als belustigte Distanz, vielleicht sogar einen Anflug von Angst.
    »Wahrheiten also.« Ihre Stimme füllt den Raum, ruhig und klar. »Ich muss akzeptieren, dass Patrick tot ist und dass ich daran keine Schuld trage. Das ist es doch, was du mir sagen wolltest, nicht wahr?«
    »Unter anderem, ja.«
    »Laura muss akzeptieren, dass ihr Vater nicht mehr wiederkommt.«
    Ein unmerkliches Nicken.
    »Ich frage mich, was Darshans Wahrheit ist. Wer sie wirklich war, hinter dieser fröhlichen, unnahbaren Fassade, die alle als Erstes beschreiben, wenn sie von ihr sprechen. Ich frage mich, wovor Darshan weggelaufen ist. Welche Wahrheit sie nicht sehen wollte.«
    Heiner von Stettens Gesicht bleibt vollkommen ruhig. »Wer sagt dir, dass sie vor etwas weggelaufen ist?«
    »Ist sie das denn nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du hattest ein Verhältnis mit ihr.«
    »Das ist …«
    »Es gibt Zeugen.«
    Heiner von Stetten kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Du brichst unsere Verabredung, Schwertkönigin. Ist das deiner wirklich würdig? Wir haben dich hier aufgenommen, um dir zu helfen. Nun sitzt du hier, drohst mir und beleidigst mich.«
    »Darshan ist einen grausamen, schrecklichen Tod gestorben. Einer deiner Mitarbeiter ist deshalb verhaftet worden. Selbst wenn du mit Darshan keine Affäre gehabt hättest, kann dir das doch nicht egal sein.«
    Der Sonnenhofleiter schweigt.
    »Du bist Psychologe, der Leiter des Aschrams. Du hast mir meine Wahrheiten sehr schnell und sehr direkt vor Augen geführt. Du musst mehr über Darshan und ihre Beziehungen wissen, als du meinen Kollegen gesagt hast.« Sie macht eine kleine Pause. »Ich könnte natürlich verstehen, wenn du nicht gegen deine Frau aussagen willst.«
    »Beate hat nichts damit zu tun.«
    »Die gehörnte Ehefrau? Wer hätte ein besseres Motiv als sie?«
    Er funkelt sie an. Wutentbrannt. »Zum letzten Mal: Du missbrauchst unser Vertrauen, Judith. Ich möchte, dass du jetzt

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