Der Wald ist schweigen
an ihre Brust.
Es dauert lange, bis sie es wagt, noch einmal ins Innere der Sitzbank zu gucken. Noch etwas liegt darin, etwas, das vielleicht ihre Rettung ist. Ein Handy. Aber sosehr sie es auch probiert, es lässt sich nicht zum Leben erwecken. DARSHAN’S steht auf seiner Rückseite. Eine letzte Botschaft von der Schattenbildfrau, deren Identität Laura im selben Moment – endlich – akzeptiert. Darshan. Lauras Zähne klappern, sie kann nichts dagegen tun. Sie kriecht in Andis Jacke und kauert sich auf das Matratzenlager, so weit entfernt von der Tür als möglich. Sie weiß jetzt, dass sie keine Chance hat. Sie kann nichts tun als warten. Auf ihn, auf Jey, der schwor, dass er sie liebte. Dem sie vertraute, der aber in Wirklichkeit ein Mörder ist.
***
Das also ist Judith Krieger in Höchstform, KHK Krieger at her very, very best, denkt Manni, als er vor dem Sonnenhof aus dem Vectra springt. Wie ein Racheengel bewacht sie den Außeneingang des Yogasaals, die braunen Locken lodern um ihren Kopf wie Höllenfeuer, ihr Ledermantel ist ein Panzer. Besser, man stellt sich ihr nicht in den Weg, signalisiert jeder Zentimeter ihres Körpers.
»Durchsuchen!«, bellt sie die Beamten an, die im Korso hinter Manni ins Schnellbachtal gefahren sind. »Jedes Zimmer, jede Ecke, das ganze Gelände. Wir suchen ein Mädchen, Laura Nungesser, 17 Jahre, 1,70 groß, schlank, braune Rastalocken. – Verteilt euch! Schaut zu, dass ihr Handschuhe tragt. Und wenn ihr fertig seid, hier sammeln.«
Sie nickt Manni zu, als sei es die natürlichste Sache der Welt, dass sie das Kommando übernommen hat und ihre Show durchzieht, koste es, was es wolle.
»Soweit ich weiß, sind alle da drin, bis auf Brandes, einen Yogalehrer und diesen Schreiner, Benjamin Roth. Wo Brandes ist, wissen wir ja. Die anderen beiden – keine Ahnung. Uwe Winden, der Yogalehrer, hat heute angeblich seinen freien Tag. Weiß der Himmel, wo und wie er ihn verbringt, hoffentlich bei McDonald’s oder im Kino. Der Schreiner liefert wohl Meditationsbänke aus.« Sie stößt zwei Rauchsäulen aus den Nasenlöchern, wie ein wildgewordener Märchendrache. Manni stellt sich vor, wie sie die Aschrambewohner zusammengetrieben hat, ohne Waffe, ohne Legitimation, einfach nur durch diese unglaubliche Energie und Willenskraft, befeuert von ihrer Wut, die aus jeder ihrer Poren zu strömen scheint. Wenn Millstätt sie suspendiert – und was wird ihm anderes übrig bleiben, da sie sich ihm schon wieder widersetzt, auch wenn Manni auf einmal inständig hofft, dass sein Chef ihr das verzeihen wird –, dann legt KHK Krieger jedenfalls soeben eine furiose Abschiedsvorstellung hin. Einen Einsatz, von dem sie im KK II noch lange reden werden.
Sie wirbelt mit wehender Lockenmähne zum Anfänger herum. »Ich will, dass jeder Einzelne von denen da drinnen aussagt, wann und wo er Laura Nungesser zuletzt gesehen hat und mit wem. Schaffst du das?«
»Ich …« Unschlüssig sieht der Anfänger Manni an.
»Ja oder nein?« Die Krieger drückt ihre Zigarette am Geländer aus, weitaus fester, als es nötig wäre.
»Ja, schon.«
»Tu, was KHK Krieger sagt, Ralf. Nimm am besten noch zwei von Edlings Leuten zu Hilfe«, rät Manni.
Wieder nickt ihm die Krieger zu wie einem alten Kumpel. »Was ist mit der Hundestaffel? Wer durchsucht Lauras Zimmer?«
»Die beiden Ks müssen gleich da sein.« Im Haus schlagen Türen, in den Nebengebäuden gehen Lichter an und aus, Stiefel knirschen auf den Kieswegen, Gebäudeteile und Büsche leuchten im Strahl von Taschenlampen auf. Manni hat Millstätt nicht gesagt, dass dieser Großeinsatz Judith Krieger zu verdanken ist. Ein verstockter Verdächtiger mit Vorstrafe, ein verschwundenes Mädchen, das hatte gereicht, den KK II-Leiter endlich in Schwung zu bringen. Aber was ist, wenn die Krieger sich irrt, wenn das Mädchen friedlich in irgendeinem Internetcafé hockt oder bei einer Schulfreundin? Wenn sie wieder den Falschen eingebuchtet haben?
»Diese Försterin, wo ist die?« Judith Krieger reißt ihn aus seinen Gedanken. »Jemand soll sie anrufen, nein, am besten fährt gleich einer hin. Die ist doch so dicke mit Laura. Vielleicht weiß sie was, oder das Mädchen ist sogar bei ihr.«
»Guter Punkt.« Manni greift nach seinem Handy. Tot.
»Vergiss das Handy. Dieses ganze Tal ist ein einziges gottverdammtes Funkloch.« Die Krieger zündet sich die nächste Zigarette an, das Päckchen schimmert golden im Licht des Feuerzeugs. Rauchen kann tödlich sein. Seine
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