Der Wald ist schweigen
hat, saß etwa hüfthoch. Und richtig, da sind vier Schraubenköpfe und dort noch einmal zwei. Kann es so einfach sein? Wird sie, wenn sie diese Schrauben löst, die Tür öffnen können? Sie versucht sich die genaue Konstruktion in Erinnerung zu rufen, logisch zu denken, räumlich, aber es gelingt ihr nicht.
Es gibt immer eine Lösung, Laura, man darf nur nicht aufgeben – die Stimme ihres Vaters. Oder hat Andi das gesagt? Wie lange ist sie eigentlich schon hier, allein, in Jeys Versteck? Wann wird er zurückkommen? Was wird er tun, wenn er merkt, dass sie versucht, sich zu befreien? Er wird mich töten. Die Gewissheit schneidet ihr die Luft ab und ihre Hände beginnen wieder unkontrolliert zu zittern. Man darf mir nicht aufgeben, Laura. Plötzlich denkt sie auch an ihre Mutter, was für gemeine Dinge sie zu ihr gesagt hat, bevor die Polizisten sie verhört haben. Auf einmal tut ihr das Leid und sie ist sich gar nicht mehr so sicher, dass ihre Mutter sie wirklich loswerden will. Was wird sie machen, wenn nicht nur Lauras Vater, sondern auch Laura selbst nie wiederkommt? Immer neue Tränen laufen Laura über die Wangen und das Bedürfnis zu pinkeln verursacht ihr schon Krämpfe. Sie muss hier raus und sie muss schnell sein. Schneller als er. Mit fliegenden Fingern packt Laura Andis Taschenmesser und beginnt, die erste Schraube ihres Gefängnisses zu lösen.
***
Die Kommissarin Judith Krieger kommt über ihn wie rote Lava.
»Du hättest gern was mit Darshan gehabt, stimmt’s? Dafür gibt es Zeugen. Aber sie hat dich abblitzen lassen!«
Vedanja fährt zurück, kann gerade noch vermeiden, dass er sich die Blöße gibt und die Hände schützend vors Gesicht schlägt. Aber er kann nicht verhindern, dass ihre Lavaglut sein Gesicht überströmt, es rot macht. Schwach. Wie damals, in der Schule. Er schafft es nicht, dem Blick der Kommissarin zu begegnen.
»Du warst ihr nicht sexy genug, was?« Sie spuckt das Wort sexy förmlich aus. »Erzähl mir bloß nicht, dass es anders war!«
»Sie war meine Freundin.« Er schämt sich dafür, wie weinerlich seine Stimme klingt, und kann es doch nicht ändern.
»Ach, ja! Dass ich nicht lache, eine attraktive Frau wie sie!«
Sie verhöhnt ihn. Verhöhnt ihn, wie seine Schulkameraden ihn verhöhnt haben, wie ihn Markus verhöhnt hat, als er ihm die Freundin ausspannte, die erste, allererste Freundin. Vedanja stöhnt auf, vergräbt das brennende Gesicht jetzt doch in den Händen. »Darshan war nicht so eine Freundin«, flüstert er in seine feuchten Finger. »Nur ein guter Kumpel.«
»Aber du hättest gern mehr gewollt, oder? Richtig mit ihr ficken, hm? Sie besitzen!«
Eine Tür geht auf und wieder zu. Er späht durch seine Finger. Auch das noch. Der andere, junge Kommissar, der ihm schon den ganzen Nachmittag zugesetzt hat. »Richtig mit ihr ficken, wie die anderen auch. Heiner zum Beispiel.« Ungerührt spricht Judith Krieger einfach weiter. »Und als sie dich nicht rangelassen hat, als es ihr zu bunt wurde mit dir, als Darshan nach Indien reisen wollte, ohne dich, da habt ihr euch gestritten und du hast sie gestoßen und da ist sie gestürzt und konnte sich nicht mehr bewegen.«
»Nein!«
»Und da hast du’s mit der Angst bekommen und sie ertränkt. Und alles nur, weil sie nicht mit dir ficken wollte!«
»Nein.«
»Nein?«
»Nein!«
»Komm schon, erzähl mir nichts. Ich hab doch gesehen, wie du Laura angegafft hast, wie du kaum die Finger bei dir behalten konntest. Noch so ein schönes junges Mädchen wie Darshan. Und die wollte dich auch nicht haben.«
Sie hat Recht. Darshan war zumindest sein Kumpel, aber Laura hasst ihn, ekelt sich vor ihm. Er fühlt, wie Judith Kriegers Lava sich von seinem Gesicht in sein T-Shirt ergießt. Er ist ein Versager. Ein Zombi. Impotent. Die halbverdrängte Erinnerung an seinen letzten erotischen Versuch löst eine weitere Hitzewelle aus.
»Ich hab mal in einem Frauenhaus gearbeitet.« Unbarmherzig spuckt Judith Krieger ihre hässlichen Worte aus. »Glaub mir, ich hab keinerlei Verständnis für Triebtäter und Frauenhasser. Ich mach dich fertig.«
Sie zündet sich eine Zigarette an, bläst ihm den Rauch direkt ins Gesicht. »Aber wenn du jetzt auspackst, gibt es vielleicht ein paar mildernde Umstände.«
Was soll er auspacken? Es gibt nichts auszupacken, er hat Darshan nicht getötet, er weiß nicht, was diese Polizistin von ihm will, warum sie ihn so quält. Vedanja hebt den Kopf.
»Ich weiß nicht …«
»Komm mir bloß nicht
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