Der Wald ist schweigen
Auftakt für die Ermittlungen gewesen. Keinerlei Spuren haben sie gefunden und die Zusammenarbeit mit Manni steht unter keinem guten Stern. Gerade hatte sie diese Diana Westermann aus der Reserve gelockt, da platzte er dazwischen und gab den Rosenkavalier. Immerhin hat er es im weiteren Verlauf des Nachmittags geschafft, im Forsthaus die Waffen zu konfiszieren.
Sie erreicht die Brücke bei den Teichen, über deren Oberflächen ein milchiger Schleier schwebt. Hin paar hundert Meter weiter glimmt aus den Fenstern des Sonnenhofs ein anheimelndes Gelb ins Dunkel des Tals. Die Scheinwerfer eines Autos schieben sich im stetigen Zickzackkurs den steilen Weg zur Bundesstraße hinauf. Judith fährt auf den Parkplatz, wo am Vormittag der rothaarige Kermit stand. Jetzt wartet dort Manni neben einem dreckverkrusteten Vectra. In dem Moment, als sie aussteigt, dreht er sich um und sprintet mit langen Schritten eine Holztreppe hinauf, die zum Eingang des Haupthauses führt. Oben angekommen lehnt er sich lässig ans Geländer und sieht Judith entgegen.
»Du solltest nicht so viel rauchen, dann wärst du schneller.«
»Lass das bitte meine Sorge sein.«
Sie starren sich an wie zwei gereizte Kampfhundrüden. Nach einer Weile zieht Manni geräuschvoll die Nase hoch.
»Versuch’s mal damit.« Judith hält ihm eine Packung Papiertaschentücher hin. Manni nimmt ein Taschentuch und steckt es unbenutzt in die Hosentasche, seine Augen sind blank und ausdruckslos. Der Schnellbach rauscht und gurgelt in seinem Kiesbett, hin und wieder schickt ein Windspiel tönerne Akkorde in die Nacht.
»Komm, bringen wir’s hinter uns.« Judith fühlt sich unendlich müde. Viel zu müde, um mit Manni zu streiten. Sie drückt auf die Klingel. Sie stehen nebeneinander, verfroren und verspannt wie zwei Vertreter der Zeugen Jehovas.
Sie müssen lange warten. Erst nach dem dritten Klingeln öffnet sich die Tür. Ein schmächtiger junger Mann mit kahlgeschorenem Schädel winkt sie in eine Art Foyer, das hell und einladend wirkt. Er trägt weiße, weite Baumwollkleidung, was ihn beinahe durchsichtig erscheinen lässt. Links ist eine Empfangstheke aus Holz. »Welcome« ist mit bunten Steinen wie eine Art Intarsienarbeit in die Oberfläche eingelassen. Rechts entlang der Fenster befindet sich eine niedrige Sitzlandschaft mit Kissen aus buntem Satin, wie man sie in Asienläden kaufen kann. Auf einem Podest in der Ecke thront ein hölzerner Buddha zwischen zwei Vasen mit gelben Fresien. Die fernöstlichen Accessoires passen erstaunlich gut zu den Holzbalken des altdeutschen Fachwerkhauses. Es riecht nach Räucherstäbchen. Über dem Kopf des Buddhas hat jemand mit goldenem Lack verschnörkelte Schriftzeichen an die Wand gemalt. Der Computer hinter dem Tresen ist ausgeschaltet.
»Wir würden gern mit dem Leiter des Sonnenhofs sprechen.«
»Das geht nicht, wir meditieren gerade.« Der junge Mann hat eine volle, melodische Stimme.
Die Tür hinter dem Rezeptionstisch öffnet sich und Kermit, der Rothaarige, betritt die Diele. Immer noch trägt er keine Socken, aber seine Füße sehen nicht mehr so blaugefroren aus. Statt in schmutzigen Plastiksandalen stecken sie jetzt in ledernen Jesuslatschen mit Zehenriemen. Mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Ungläubigkeit und Missvergnügen angesiedelt ist, baut er sich vor Judith auf. Der kahlgeschorene Junge duckt sich an seine Seite wie ein Schatten.
»Du schon wieder!«
»Ich schon wieder.« Judith ignoriert Mannis erstaunten Seitenblick.
»Ich hab dir doch gesagt, hier gibt’s nichts für dich.«
»Tatsächlich? Ich dachte, du hast mich vor allem vor der Polizei gewarnt.«
»Stimmt auch wieder. Und ich hatte Recht, oder?«
»Ich fürchte, nein.«
»Sorry, Presselady, aber weil du bei den Bullen nicht weiterkommst, geben wir noch lange keine Interviews. Und für ein Yogastündchen ist es heute auch zu spät.«
Mannis Dienstausweis landet auf der Theke, Judith wirft ihren daneben.
»Judith Krieger, Kripo Köln. Mein Kollege Manfred Korzilius. Wir ermitteln in dem Mordfall, der sich hier im Tal ereignet hat.«
Wenn der Rothaarige erstaunt ist, verbirgt er es geschickt. Er nimmt die Ausweise und studiert sie sorgfältig.
»Judith Krieger von der Kripo. Was für ein martialischer Name für eine so schöne Frau.«
»Wir müssen mit dem Leiter des Sonnenhofs sprechen. Und mit allen Bewohnern – und mit Ihren Gästen.«
»Wir meditieren gerade.«
Der Kahlgeschorene ist offenbar unschlüssig, wie
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