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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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hatte ihm signalisiert, dass solche Fragen nicht erwünscht waren und ohnehin unbeantwortet bleiben würden. Kommt Zeit, kommt Rat, hat er gedacht. Laura wird sich einleben und sich öffnen.
    Ein Irrtum, wie er jetzt weiß. Was weißt du schon, Rotschopf, scheint ihr Blick zu sagen, wenn sie sich überhaupt dazu bequemt, ihn anzusehen. Meistens starrt sie einfach haarscharf an ihm vorbei, wenn er mit ihr spricht, antwortet möglichst einsilbig und nur dann, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Unwillkürlich sieht er zu ihrem Zimmer hinauf. Ihr Fenster ist dunkel und doch ist er plötzlich sicher, dass sich jemand dahinter bewegt. Vielleicht ist sie aufgestanden und sieht ihn hier stehen. Er weicht in den Schatten des Tempels zurück. Alter, unverbesserlicher Narr.
     
    ***
    Die B 55 ist leer, der Asphalt schimmert bläulich im Licht des Mondes. Diana fährt im Schritttempo und schaltet das Fernlicht ein, als sie die Stelle erreicht, die der Anrufer ihr beschrieben hat. Ronja winselt auf dem Rücksitz. Die Hahndoppelflinte liegt geladen auf dem Beifahrersitz, auch wenn das verboten ist, auch wenn sie nur ihr Jagdmesser brauchen wird, um einen verletzten Rehbock zu erlösen. Sie fährt zwei Kilometer weit, die Augen konzentriert auf den rechten Seitenstreifen und den Straßengraben gerichtet. Es gibt nicht die geringste Spur eines angefahrenen Tiers, überhaupt nichts, was auf einen Unfall hinweist. Sie wendet und fährt wieder zurück Richtung Oberbach, die Aufmerksamkeit nun auf die andere Seite der Landstraße gerichtet. Auch nichts. Kurz bevor die ersten Häuser auftauchen, lenkt sie ihren Jeep in einen Forstweg und stellt den Motor ab. Sie ist jetzt überhaupt nicht mehr müde, sondern wütend. Irgendjemand spielt ein böses Spiel mit ihr und auf einmal erscheint es ihr absolut lebensnotwendig, dass sie sich davon nicht unterkriegen lässt. Und dafür muss sie hundertprozentig sicherstellen, dass es hier wirklich keinen Unfall gegeben hat. Vielleicht hat sich der Rehbock ja noch ein paar Meter weit in den Wald schleppen können. Sie steckt die Taschenlampe aus dem Handschuhfach in ihre Jackentasche und springt aus dem Wagen.
    »Komm Mädchen. Fuß!« Ronja bellt und wirbelt um die eigene Achse, jeder Zentimeter pure Energie, genährt aus jugendlichem Übermut.
    »Fuß!« Diana hängt sich die Flinte über die Schulter und vergewissert sich, dass das Jagdmesser griffbereit an ihrem Gürtel steckt. Mit festen Schritten läuft sie am Straßenrand der B 55 entlang, Ronja ist ein Schatten dicht an ihrer Seite. Wenn es irgendwo ein verletztes Tier gibt, wird die Hündin es wittern und anschlagen. Nach etwa einer Viertelstunde überqueren sie die Straße, und gerade als Diana sicher ist, dass der nächtliche Anruf wirklich ein makabrer Scherz war, gibt Ronja plötzlich Laut, die Schnauze erhoben, die Ohren aufgestellt. Diana fühlt, wie ihr Puls erneut beschleunigt. Sie lauscht angestrengt, kann aber nichts hören. Im nächsten Moment trabt die Hündin Richtung Wald.
    »Fuß, Mädchen.« Dianas Befehl ist ein Flüstern.
    Offenbar hat Ronja tatsächlich Witterung aufgenommen, denn sie führt Diana zielstrebig durch den Straßengraben und dann in einem komplizierten Zick-Zack-Kurs zwischen den hochgewachsenen Fichten. Diana hat Mühe zu folgen, denn das Gelände fällt hier steil zum Schnellbachtal hin ab. Die vertrockneten Äste des Unterholzes reißen an ihrem Parka und verfangen sich immer wieder in ihrem Pferdeschwanz. Mit einer ungeduldigen Bewegung streift sie das Haargummi ab und dreht die Haare zu einem Knoten. Besser. Allmählich gewöhnen sich ihre Augen an die Dunkelheit, so dass sie sich orientieren kann. Sehe ich diesen Hangbestand auch endlich mal, ermuntert sie sich stumm. Er steht auf ihrer Besichtigungsliste für das Revier ganz oben, denn nach allem, was sie den Unterlagen des alten Hesse entnommen hat, muss er dringend durchforstet werden. Gleich wenn sie bei Kürten fertig ist, wird sie das in Angriff nehmen, die alten Fichten stehen wirklich viel zu dicht. Offenbar hat es ihr Vorgänger in seinen letzten Dienstjahren sehr ruhig angehen lassen.
    Ronja hält plötzlich inne und blafft.
    »Still! Na los, Mädchen, zeig mir, was da ist, führ mich hin.« Die Hündin winselt, bewegt sich aber nicht. Sie muss sich wirklich noch mehr Zeit für Ronjas Ausbildung nehmen. So werden sie die Jagdeignungspüfung nie bestehen.
    »Na, was ist? Los, Ronja!« Die kleine Hündin schlägt an und setzt sich abrupt in

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