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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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schmeckt bitter und ölig, als wäre er über Nacht auf der Wärmeplatte vergessen worden, was vermutlich der Fall ist. Sie sehnt sich intensiv nach einer anständigen Tasse Milchkaffee. Ihr Kopf fühlt sich an, als hätten die Bagger vom Fabrikgelände über Nacht darin gewütet. Sie hat eindeutig zuwenig geschlafen und zu viel Bier getrunken.
    »Manni hat eure Sache beim Morgenmeeting sehr gut vertreten.« Axel Millstätt klatscht einen Stapel Tatortfotos auf den Tisch. »Er ist jetzt schon wieder ins Bergische gefahren, will dort zusammen mit den Kollegen von der Kriminalwache Leute befragen. Karin und Klaus sind sowieso längst im Einsatz. Nur du kommst erst um acht Uhr und siehst trotzdem völlig übernächtigt aus. Verdammt noch mal, Judith, so geht das nicht.«
    »Ich war in der Rechtsmedizin.«
    »Davon hat Manni aber nichts gewusst.«
    »Ich wusste ja auch nicht, dass du uns heute morgen hier sehen wolltest.« Sie kommt sich vor wie ein Schulmädchen.
    »Mensch, Judith, was ist mit dir los? Du arbeitest doch nicht seit gestern hier. Ihr berichtet an mich, selbstverständlich erwarte ich euch da beim Morgenmeeting. Beide! Nicht einmal dein Handy war eingeschaltet. Gestern nicht, heute morgen nicht.«
    »Im Schnellbachtal ist kein Empfang. Und heute Morgen hab’ ich vergessen, mein Handy anzumachen. Sowie ich deine Nachricht gehört hab, bin ich gekommen, obwohl Müller noch lange nicht fertig ist mit der Obduktion. Tut mir wirklich Leid.«
    Millstätt seufzt und sieht dabei ein bisschen aus wie ein Gummitier, aus dem jemand plötzlich die Luft herauslässt.
    »Ich erspare es uns, dir noch einmal zu erläutern, wie wichtig es ist, dass du dich zusammenreißt. Geh jetzt in Gottes Namen wieder zu Müller. Aber ruf Manni vorher an und besprich dich mit ihm. Ihr seid ein Team! Morgen früh möchte ich dann einen Bericht hören. Von Manni und dir. Zusammen.«
     
    Das Rechtsmedizinische Institut ist ein mehrstöckiger 70er-Jahre-Klotz mit Waschbetonfassade, unmittelbar neben Kölns ältestem Friedhof, wo stoische Jugendstilengel ihre Flügel über den Gräbern ausbreiten, als ob es den Stadtverkehr, der rund um die Uhr hinter den Friedhofsmauern lärmt, nicht gäbe. Karl-Heinz Müllers Bronzeteint, für den er während seines Urlaubs auf den Bahamas sicher ordentlich geschwitzt hat, wirkt im Kunstlicht des Obduktionssaals unnatürlich wie Theaterschminke. Ein Schwall faulige Luft hängt im Raum. Karl-Heinz Müller ist in Topform. Er pfeift Ma Baker und hantiert mit Röhrchen, Messern und Säge wie ein Jongleur.
    »Manni war gerade auch schon da – warum kommt ihr nicht einfach zusammen, dann muss ich nicht alles zweimal sagen.«
    Bevor Judith eine Erwiderung einfällt, redet er schon weiter. »Schon gut. Soweit ich das beurteilen kann, starb er an mehreren Ladungen Schrot. Auf dem Hochsitz, so wie wir ihn gefunden haben. Die Schüsse sind aus zehn bis 20 Meter Entfernung abgegeben worden, vom Boden aus. Haben ihn in Kopf und Brust getroffen und das dürfte auch die Todesursache gewesen sein. Keine frischen Knochenbrüche, nichts, was auf Strangulation hinweist. Wir lassen noch ein paar Tests machen, ob er Medikamente, Drogen oder Alkohol im Körper hatte, aber ich bezweifle das. Die Schrotkugeln haben einen Durchmesser von 3,5 Millimetern. Was er zuletzt gegessen hatte, wissen allein die Krähen. Von seinem Magen ist nicht allzu viel übrig.« Müller streift seine Handschuhe ab, knüllt sie zusammen und tätschelt Judiths Arm. »Kopf hoch Mädchen, irgendwas werden wir schon noch finden.«
    Müller kriegt väterliche Anwandlungen, wie soll ich damit nun wieder umgehen? Judith entscheidet sich, es einfach zu ignorieren. Es kostet sowieso schon genug Kraft, ihren Atem unter Kontrolle zu halten. Irgendetwas an dem Toten rührt sie an, weit mehr, als es gesund ist. Will ihr in die Knie fahren, sie zu Boden bringen. Sie strafft die Schultern, verlagert das Gewicht vom rechten auf den linken Fuß.
    »Wie lange ist er schon tot?«
    »Schwer zu sagen. Mit Krähen hatte ich noch nie das Vergnügen, zumal nicht in dieser extremen Form, Arme und Beine sind einigermaßen intakt, aber von den Wunden im Kopf- und Bauchbereich ausgehend haben wir Madenfraß, wenn auch nicht sehr viel, war ja schon ziemlich kalt in den letzten Wochen. Wie gesagt, zehn Tage vielleicht, sieben mindestens.«
    Judith will protestieren, aber er kommt ihr zuvor. »Ich schicke ein paar Proben zu unserem verehrten Fliegen-Doc, dem Kollegen Benecke.

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