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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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letztes Mal, ob im Stall alles in Ordnung ist und zieht die Tür hinter sich zu. Die Gebäude des Sonnenhofs sind immer noch dunkel, aber aus den Fenstern von Shivas Tempel fällt gedämpftes orangefarbenes Licht. Lauras Herz macht einen Sprung. Da also ist er. Reiß nicht einfach die Tür auf, ermahnt sie sich stumm, vielleicht meditiert er ja. Leise betritt sie das Podest, das um den achteckigen Holzbau herumgebaut worden ist. Ein Geräusch dringt durchs Fenster, das Keuchen eines Mannes. Lauras Herz hämmert so sehr, dass sie Angst hat, man könne es im Tempel hören. Die Stoffrollos sind heruntergelassen. Sie nimmt all ihren Mut zusammen und schleicht von Fenster zu Fenster, bis sie eine kleine Lücke findet, einen schmalen Spalt zwischen Rollo und Fensterbank. Ganz vorsichtig geht Laura in die Hocke. Heiner von Stetten und die neue Yogalehrerin. Wenn das die fiese Beate wusste. Oder ist die immer so verkniffen, weil sie es weiß? Der große Heiner von Stetten mit seinen ewigen Vorträgen über das Wesen der Liebe und seinen Ermahnungen, sie müsse in sich gehen, vertrauen lernen, Selbstlosigkeit, Achtsamkeit. Wie lächerlich das alles ist. Auf einmal merkt sie, dass sie friert.
    Sie zittert immer noch, als sie wieder ins Bett kriecht. Jey ist immer noch fort, aber die Erleichterung, dass nicht er es ist, den sie im Tempel gesehen hat, hüllt sie ein, wärmender als jede Umarmung. Ihre Eltern, Andi, Heiner von Stetten – auf niemanden ist Verlass. Aber er ist anders. Er liebt sie wirklich. Und Diana ist ihre Freundin. Mit einem Lächeln auf den Lippen schläft sie ein.
     
    ***
    Was würde Martin sagen, was würde er mir raten, überlegt Judith, während sie ihren Passat zurück nach Köln lenkt. Es ist das erste Mal, seit sie seinen Abschiedsbrief gefunden hat, dass sie sich gestattet, an ihn zu denken, ja, sich nach ihm zu sehnen. Sie sieht ihn vor sich, schmerzlich vertraut und nah. Am Morgen hat sie wieder vergessen, den Briefumschlag mit seinem Hausschlüssel mitzunehmen, um ihn endlich frankieren zu lassen und abzuschicken. Und jetzt hat die Post schon wieder geschlossen. Folge deinem Gefühl, würde Martin vermutlich sagen, aber nicht im Alleingang. Eine Sowohl-als-auch-Antwort, typisch für ihn. Würde er verstehen, warum sie sich heute gegen alle Vorschriften verhalten hat? Sie kann es ja selbst kaum begreifen. Sie weiß, dass sie Diana Westermann nicht hätte treffen dürfen, dass sie sich erst recht nicht von ihr durch den Wald hätte führen lassen dürfen. Sie hat es trotzdem getan. Und jetzt, was soll sie tun?
    In Köln-Kalk fährt sie von der Autobahn ab und parkt neben der Garage des Polizeipräsidiums, einem doppelstöckigen vergitterten Kasten. Mannis privater Stolz, sein schwarzer Golf GTI, steht auf seinem Stammplatz, direkt gegenüber dem Rolltor. Judith schaltet den Motor aus. Über zwei Stunden ist sie auf dem nassen Waldboden herumgerutscht in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, was zu diesem Handy gehören könnte, das Diana Westermann gefunden haben will. Aber Fehlanzeige, nichts, nada. Sie ist ziemlich sicher, dass die beiden Ks zum selben Ergebnis kommen würden.
    Sie schaltet das Leselicht ein und mustert die Plastiktüte mit dem verblichenen Fetzen violetten Samts. Die Försterin glaubte sich zu erinnern, ein paar Mal eine junge, blonde Frau im Wald und in der Sonnenhof-Werkstatt getroffen zu haben, die ein violettes Samtkleid getragen hatte. Sie hat laut und gern gelacht. Ich glaube, das war diese Darshan, hat die Försterin gesagt. Irgendwann sei diese Frau dann nicht mehr da gewesen, was die Försterin nicht weiter verwundert hatte. Schließlich herrsche auf dem Sonnenhof ein ständiges Kommen und Gehen.
    Judith schaltet die Innenraumbeleuchtung wieder aus und starrt auf das Polizeipräsidium. In den meisten Fenstern sind die Lichter bereits erloschen, nur im Stockwerk des KK II nicht. Was soll sie Manni sagen? Schick noch mal die Ks mit den Hunden los? Wohin, zu welchem Zweck?, wird er sie fragen. Und sie wird ihm nur eine Antwort geben können: Ich habe das Gefühl, dass sie etwas finden werden. Was denn, wird er fragen. Von dem Stofffetzen haben Sonne und Regen mit Sicherheit jede Geruchsspur gewaschen, das Handy ist verschwunden. Eine Moosschicht habe sich schon auf der Schutzhülle gebildet, hat die Försterin gesagt. Was dafür spricht, dass es schon lange vor dem Mord im Wald lag – und vermutlich nichts damit zu tun hat. Falls dieses Handy überhaupt existiert. Doch

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