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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Yoga kann sie gar nicht.«
    Der Fall ist abgeschlossen. Es hat nichts mit ihr zu tun. Niemand beobachtet sie. Ronjas Verschwinden war wirklich nur der makabre Scherz von irgendwelchen Dorfjungs.
    »Soll ich jetzt Spaghetti kochen?«
    »Ich habe keine Zeit, Laura.«
    »Och.«
    Diana unterdrückt einen Fluch. Warum verursacht diese kleine Silbe bei ihr sofort zentnerschwere Schuldgefühle?
    »Du kannst Ronja über Nacht haben, wenn du willst.« Sie spricht schnell, bevor sie es sich anders überlegen kann. Außerdem ist es eine gute Lösung, ins Kölner Nachtleben will sie die Hündin nicht mitnehmen.
    »Ehrlich? Danke, Diana.« Aber Laura lächelt nicht, als sie Ronja anleint und sich verabschiedet.
    Diana sieht den beiden nach. Zwei schmale Schatten, die im Wald verschwinden. Hör endlich auf, dich verantwortlich zu fühlen.
    Nachdem sie geduscht und gegessen hat, fühlt sie sich bedeutend besser. Sie spült das Geschirr und räumt es weg, verriegelt die Holzläden und improvisiert eine schnelle, angriffslustige Melodie auf dem Klavier.
    Im Schlafzimmer zieht sie ein enges schwarzes T-Shirt und die weite, verwaschene Bundeswehrhose an, die sie mit einem breiten abgewetzten Ledergürtel auf Hüfthöhe zusammenzieht. Sie wählt ein dunkelgrünes Stirnband und den Silberschmuck, den sie in Algier gekauft hat. Einer der feinziselierten Armreife fällt ihr aus der Hand und rollt unters Bett. Diana stellt die Nachttischlampe auf den Boden und kniet sich hin. Der Armreif liegt ganz hinten an der Wand. Sie rutscht halb unters Bett und streckt die Hand aus. Etwas streift ihr durchs Haar – reflexartig fasst sie danach. Ein Lederriemen.
    Ihr Herz reagiert schneller als ihr Hirn, mit harten, hämmernden Schlägen. Alfred Hesses Hahndoppelflinte ist weg. Ungläubig leuchtet Diana mit der Lampe unter das Bett. Sie irrt sich nicht. Schlaff und leer baumeln die Lederriemen herunter, die der alte Hesse mit seinen arthritischen Fingern einst so sorgfältig geknüpft hatte. Jemand war in ihrem Haus und sie hat es nicht gemerkt. Jemand hat ihr Gewehr gestohlen. Wer? Laura, ist ihr erster Gedanke. Als sie bei mir geschlafen hat, in der Nacht als Ronja verschwunden ist. Aber morgens hat sie das Mädchen zum Sonnenhof gefahren. Das hätte sie ja wohl bemerkt, wenn Laura eine Flinte im Arm gehalten hätte. Dennoch: Laura wusste von der Waffe. Vor ein paar Wochen hat sie ihr sogar mal gezeigt, wie man schießt, weil das Mädchen gar so sehr darum gebeten hat. Doch warum sollte Laura die Flinte klauen? Und wenn ja – ist das der Grund, warum sie seit Tagen so herumdruckst? Was um Himmels willen hat sie vor? Diana öffnet die Schublade ihres Nachttischs und schüttelt die Packung mit den Patronen. Sind es weniger geworden? Sie kann es nicht sagen. Auch die Reservepackung ist halb leer. Hatte Alfred Hesse nicht gesagt, die sei ganz neu?
    Vielleicht sieht sie Gespenster. Vielleicht hat sie selber die Flinte unten eingeschlossen und das vergessen. Diana hastet die Treppe hinunter, zum Waffenschrank. Das Schloss ist unversehrt, sie öffnet es mit dem kleinen Schlüssel, den sie immer am Schlüsselbund bei sich trägt. Ihre anderen Gewehre sind noch da, auch die Munition dafür. Aber nicht die Flinte vom alten Hesse. Ich krieg dich, du Schlampe. Wenn Laura nicht diejenige ist, die die Flinte gestohlen hat, heißt das, dass sich jemand Zutritt zu ihrem Haus verschafft hat. Beim Gedanken daran krampft sich Dianas Magen zusammen. Wann hat sie Hesses Flinte zum letzten Mal in der Hand gehabt? Was ist, wenn jemand ihre Waffe benutzen will, um sie gegen sie zu richten? Was ist, wenn jemand mit dieser Flinte schon einmal einen Mord begangen hat? Wenn sie die Tatwaffe ist? Kaliber 16 . Warum hat sie der Polizei nichts von der Flinte erzählt? Jetzt ist es zu spät. Wenn sie den Verlust jetzt meldet, macht sie sich nicht nur lächerlich, sondern auch verdächtig. Und außerdem ist der Fall ja sowieso abgeschlossen. Oder?
    Die Stille des alten Hauses scheint aus allen Ecken und Winkeln auf sie zuzuschleichen, will sie niederdrücken, lähmen, fertig machen. Sie muss hier raus, und zwar schnell. Sie lädt ihre Mauser, schließt die anderen Waffen sorgfältig wieder ein. Dann löscht sie das Licht und bleibt so lange im ersten Stock am Fenster stehen, bis sie sicher ist, dass niemand dort draußen auf sie lauert. Der Motor heult auf, als sie den Wagen auf den Fahrweg jagt. Erst als sie die Bundesstraße erreicht hat, hört sie auf zu zittern. Morgen wird

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