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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Sie befanden sich auf der Lichtung, bauten vier Zelte auf, und ein Junge mit Brille errichtete aus Steinen eine Feuerstelle.
    Ettie zog sich von der Spalte zurück und ging um den Felsen herum zum Eingang der Höhle. Sie musste sich zur Seite drehen, um sich durch die Öffnung zu quetschen. Das trübe Licht im Inneren kam ihr nach der Helligkeit draußen sehr dunkel vor, aber sie konnte undeutlich Merle erkennen, der sich auf einem der Schlafsäcke ausgestreckt hatte. Sie setzte sich auf den anderen Schlafsack. Sonnenlicht aus einem Riss über ihrem Kopf zog eine heiße Linie über ihre gekreuzten Beine. Sie lehnte sich leicht gegen die kühle Granitwand.
    »Bist du wach, Merle?«
    »Ich lieg nur hier. Ich mag den Schlafsack wirklich gern. Er ist so weich.«
    »Unten am See sind ein paar Leute.«
    Er setzte sich so schnell auf, dass Ettie erschrak.
    »Bleib, wo du bist«, warnte sie ihn.
    Er war schon fast aufgestanden, aber nun sackte er in sich zusammen, als wären seine Beine zu Gummi geworden. »Kann ich sie nicht ansehen, Ettie?«
    »Bleib einfach sitzen.«
    »Wer sind sie?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Schnüffeln sie herum?«
    »Sie schlagen ein Lager auf. Eine badet ihren Fuß im See. Sie hat ziemlich schlimm gehumpelt, als sie ankamen. Ich glaub, sie hat sich auf dem Weg über den Pass verletzt. Vermutlich haben sie deshalb hier angehalten.«
    »Ein Mädchen?«
    »Komm gar nicht erst in Fahrt. Es sind drei Männer dabei.«
    »Kann ich nicht mal gucken?«
    »Ich sag dir, wenn du gucken kannst. Wir halten uns versteckt, bis ich etwas herausgefunden hab.«
    »Also, wie viele sind es?«
    »Neun.«
    »Neun, und nur drei davon Männer?«
    »Es sind auch ein paar Kinder dabei, die aussehen wie höchstens zwölf. Und drei Frauen.«
    »Wie alt sind sie?«
    »Geht dich nichts an.«
    »Sind sie hübsch?«
    »Hol mir das Coyotenfell.«
    Gehorsam kroch Merle an der Kopfseite ihres Schlafsacks vorbei. Er wühlte in einem dunklen Haufen am hinteren Ende der Höhle und kam mit dem Fell des Coyoten zurück, den er vor zwei Wochen mit einer Falle gefangen hatte. »Was hast du vor?«, fragte er.
    »Die Zeichen deuten. Vielleicht sind die Leute nur zufällig gekommen, oder vielleicht hat der Meister sie geschickt.«
    »Meinst du, Er will, dass sie geopfert werden?«
    »Ich kann noch keinen Sinn darin erkennen. Könnte sein, dass wir in Ungnade gefallen sind und Er sie geschickt hat, um uns zu strafen.«
    »Warum sollte Er das tun, Ettie?«
    »Ich hab nicht gesagt, dass Er es wirklich getan hat . Aber es könnte sein. Und jetzt sei still und lass es mich herausfinden.«
    Sie kniete sich hin und breitete das Fell auf dem Schlafsack aus. Dann zog sie ihr Messer aus der Scheide. »Oh großer Meister«, intonierte sie. »Schatten der Dunkelheit, gib uns ein Zeichen, damit wir, Deine Diener, Deinen Willen erkennen.« Mit der Klinge schnitt sie sich eine Kerbe in den linken Unterarm. Blut quoll heraus und bildete ein Muster auf dem Coyotenfell. »Gib uns Weisheit, Meister, damit wir weiter Deinem Weg folgen können.« Sie schwenkte den angeritzten Arm langsam über dem Fell hin und her, dann hielt sie ihn ruhig und steckte das Messer zurück in die Scheide. »Zähle von dreizehn an rückwärts«, befahl sie Merle. Zusammen zählten sie. Als sie bei eins angekommen waren, zog sie den Arm zurück und band ein Tuch um die Wunde.
    Sie starrte auf das Fell. Das Sonnenlicht malte einen hellen Streifen darüber, hob Strähnen und Blutlachen auf der bleichen Haut hervor. Der Rest des Fells lag in tiefem Schatten.
    »Was hat Er gesagt?«, fragte Merle.
    »Gib mir Streichhölzer.«
    Er zog ein Heftchen aus seiner Jeans und reichte es Ettie. Sie brach ein Streichholz ab, riss es an und beugte sich tiefer über das Fell. Im Licht der zitternden Flamme studierte sie das Muster ihres vergossenen Bluts: die Spuren aus glänzenden Tröpfchen, die Kreise, die Art, wie die dünnen Fäden größere Flecken miteinander verbanden, die Umrisse der kleinen Pfützen. Ein kaltes, übles Gefühl breitete sich in ihr aus, als sie die Bedeutung erfasste. Sie stöhnte.
    »Was ist los?«
    »Pst.« Sie schüttelte das Streichholz aus, entzündete ein zweites und betrachtete erneut die Landkarte aus Blut. Nein, sie hatte es nicht missverstanden. Sie ließ das Streichholz fallen. Zischend erlosch es in einer Blutlache.
    »Ist es schlimm, Ettie?«
    Sie sah ihren Sohn an. Er kniete vor ihr und blickte auf das Fell. Sein Gesicht war ein undeutlicher Fleck in den

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