Der Wald: Roman
grummelte Julie. Sie hob den Hintern, um das Höschen darüberzustreifen. Dann setzte sie sich auf. Ihr Herz klopfte. Mit zittrigen Händen schlang sie den Träger des Oberteils über den Kopf, zupfte die dünnen Dreiecke über die Brüste und griff hinter den Rücken, um das Bändchen zu verknoten. »Du kannst jetzt reinkommen.«
Karen beugte sich ins Zelt. Sie hielt einen einteiligen schwarzen Badeanzug in der Hand. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich hab nicht gewusst, dass du da drin bist.«
»Du hättest ja mal fragen können«, murmelte Julie, während sie weiter hinter dem Rücken an den Trägern herumfummelte.
Karen setzte sich auf den Schlafsack und begann, die Schuhe aufzuschnüren. »Heiß hier drin«, sagte sie.
»Geht ihr in den See?«
»Ja. Benny und dein Vater ziehen gerade ihre Badehosen an.« Sie zog die Schuhe aus und seufzte vor Erleichterung. »Das Wasser wird bestimmt herrlich sein.«
Julie war fertig angezogen, blieb aber sitzen und sah zu, wie Karen eine Socke auszog und im blauen Dämmerlicht ihren Fuß inspizierte. »Also, an dem sind schon mal keine Blasen. Wie halten deine Füße durch?«
»Das ist meine Sache.«
Karen sah sie an. In dem schwachen Licht konnte Julie nicht beurteilen, ob sie wütend oder verletzt war. »Entschuldigung«, sagte Karen schließlich. »Ich wollte nur freundlich sein.«
»Gib dir keine Mühe.«
Mit ruhiger Stimme fragte Karen: »Wovor hast du eigentlich Angst?«
»Vor dir jedenfalls nicht.«
»Du hast Angst, mich zu mögen, glaube ich.«
»Was, hältst du dich für derart unwiderstehlich, dass ich vor dir auf die Knie fallen müsste? Vergiss es. Ich kann dich einfach nicht leiden, das ist alles. Ich wünschte, Dad wäre dir niemals begegnet.«
»Dein Vater und ich … wir lieben uns.«
»Toll«, quetschte Julie aus zugeschnürter Kehle hervor.
»Das weißt du doch, oder?«
»Ich bin nicht blind.«
»Wir lieben uns, Julie, aber denk nicht, dass er Benny oder dich deswegen weniger liebt. Du bist seine Tochter. Er war dein ganzes Leben lang bei dir, und er wird dich bis ans Ende seiner Tage lieben, egal, was passiert. Du wirst immer ein Teil von ihm sein, auf eine Art, wie es bei mir niemals sein wird. Ich nehme ihn dir nicht weg. Das könnte ich gar nicht, selbst wenn ich wollte.«
Julie senkte den Blick auf ihre gefalteten Hände.
»Wärst du glücklicher, wenn ich deinen Vater nicht mehr treffen würde?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Vermutlich nicht.«
»Was würde dich denn glücklich machen?«
»Ich weiß es nicht.« Sie biss sich auf die Unterlippe, als sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Ich will nicht, dass er verletzt wird.«
»Meinst du, ich würde ihn verletzen?«
Achselzuckend wischte sie sich über die Augen. »Alles war bestens, bis du gekommen bist.«
»Deinem Dad ging es nicht gerade bestens. Er war einsam.«
»Er hatte uns.«
»Und eine Frau, die ihn verließ. Das hat ein großes Loch bei ihm hinterlassen. Vielleicht hat er sich die Verletzung nicht anmerken lassen, weil er nicht wollte, dass es für dich und Benny noch schlimmer wird, aber sie war da. Und jetzt ist es schon besser.«
»Dank dir, was?«
»Dank der Gefühle, die wir füreinander haben.«
Julie atmete tief durch. Sie nahm ihr Handtuch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Nick wartet auf mich«, murmelte sie.
»Wenn er dich in dem Bikini sieht, flippt er aus.«
»Willst du mich aufmuntern?«
»Ja. Aber es stimmt trotzdem. Hör zu, Julie, ich werde deine Freundin sein, ob es dir gefällt oder nicht. Weil ich deinen Vater liebe und dich mag.«
»Du magst mich? Sicher.«
»Wirklich. Und du wirst mich früher oder später auch mögen. Ehe du dich versiehst, sind wir die besten Kumpel. Und weißt du, warum?«
»Warum?«
»Weil ich unwiderstehlich bin.«
Julie brachte ein Lächeln zustande. »Leck mich«, sagte sie und kroch aus dem Zelt. Das grelle Sonnenlicht schmerzte in ihren Augen. Sie stand auf und strich sich Erde und Piniennadeln von den Knien. Sie fühlte sich seltsam – der Verstand benebelt, die Muskeln schwach, die Beine zitternd. Während sie zum See ging, versuchte sie, ihre Auseinandersetzung mit Karen einzuordnen. Ihr Verstand bekam das Ganze nicht richtig zu fassen. Vielleicht hatte sich alles geändert. Oder die Unterhaltung hatte sie einfach nur verwirrt.
Nick stand am Ufer und sah zu, wie die Zwillinge hineinwateten. Er hatte sich ein Handtuch um den Hals gehängt und trug blaue Shorts wie die, in denen er
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