Der Wald: Roman
bleiben.«
»Ach, du willst nicht mit mir allein sein.«
»Ich meine es ernst, Scott. Er hatte heute Morgen ein fürchterliches Erlebnis. An seiner Stelle würde ich heute Nacht nicht das Haus verlassen wollen. Ich würde hier bei meinem Vater in Sicherheit sein wollen.«
»Stimmt, ich sollte ihn nicht drängen. Solange du hier bist, will er sowieso nicht gehen. Als er gehört hat, dass du kommen würdest, hätte er sogar beinah auf den Bibliotheksbesuch verzichtet.« Scott hob die Hand und deutete mit Daumen und Zeigefinger eine winzige Distanz an. »Er war so dicht dran, zu Hause zu bleiben. Wenn ich bloß …«
Karen unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln. »Wenn etwas schiefgeht, kann man immer sagen: Wenn ich dieses oder jenes gemacht hätte. Wir können uns keinen Vorwurf machen. Es ist nur eine Reihe kleiner Entscheidungen, die völlig bedeutungslos sind, bis die Kacke am Dampfen ist, und dann blickt man zurück und sieht, wie man dahin gelangt ist. Und man findet eine ganze Kette von Wenns, die man bis in alle Ewigkeit zurückverfolgen kann.«
»Wahrscheinlich. Aber wenn Benny heute Morgen zu Hause geblieben wäre …«
»Er hätte nicht nach einem Buch über Hexerei suchen müssen, wenn wir nicht wandern gewesen wären. Und er wäre auch nicht gegangen, wenn wir uns nicht kennengelernt hätten.«
»Das ist ein Wenn, das ich äußerst ungern ändern würde.«
Sie lächelte ihn an. »Ich auch. Aber du musst zugeben, dass es eines der Glieder in der Kette ist. Wenn wir uns nicht kennengelernt hätten, wäre Benny heute Morgen nicht angegriffen worden.«
Und du wärst nicht geschlagen und vergewaltigt worden, dachte er. Wegen ihres traurigen Gesichtsausdrucks fragte er sich, ob sie das Gleiche dachte. Wenn wir uns nie getroffen hätten …
Stirnrunzelnd trank sie aus ihrem Glas. Scott beobachtete, wie ein Wassertropfen herabfiel, auf ihrem glatten Dekolleté landete und zwischen den Brüsten hinabrann. Sie wischte ihn ab. »Jedenfalls«, sagte sie, »wird es ein bisschen lächerlich, wenn man zu lange darüber nachdenkt. Die Wenns nehmen kein Ende.«
»Ich glaube, du hast Recht«, gab Scott zu. »Also, hast du dir eine geniale Theorie zurechtgelegt, was Benny zugestoßen sein könnte?«
»Ich hab mir was überlegt. Er hat gesagt, das Licht sei ausgegangen, eine Sekunde nachdem die Hand ihn gepackt hat. Falls wir die Magie aus dem Spiel lassen, muss noch jemand anders daran beteiligt gewesen sein – jemand, der das Licht ausgeschaltet hat, während der andere Benny geschnappt hat.«
»Vielleicht war es ein Streich«, sagte Scott. »Ein paar Studenten, die es lustig fanden, ihm einen Schreck einzujagen. Nachdem er weggerannt ist, haben sie sich irgendwo versteckt.«
»Das erklärt aber nicht die Sache mit dem Finger.«
»Tja, wenn er gar nicht richtig abgebrochen wäre … Benny muss in Panik gewesen sein, durcheinander. Er könnte den Finger nur nach hinten gebogen, ihn vielleicht auch gebrochen, sich aber nur eingebildet haben, dass er tatsächlich abgebrochen ist.«
»Er klang ziemlich überzeugt.«
Scott seufzte. »Ich kann einfach nicht …« Er hörte, wie hinter ihm die Tür aufgeschoben wurde. Als er sich umblickte, sah er Julie aus dem Haus kommen. Sie hielt den Blick auf den Betonboden der Terrasse gesenkt. Ohne die Tür zu schließen, ging sie weiter, aber da sie in Gedanken versunken oder bekümmert wirkte, sprach Scott sie nicht darauf an. Sie drehte einen Liegestuhl in Karens und Scotts Richtung und setzte sich wortlos.
»Was ist los?«, fragte Scott.
»Ich habe Nick angerufen«, sagte sie mit verstörter, kaum hörbarer Stimme. Sie saß gebeugt da, die Ellbogen auf den Armlehnen, den Kopf gesenkt, die Augen halb geschlossen.
»Schafft er es nicht?«
»Vielleicht. Er ist sich nicht sicher. Er … er muss zu Hause bei Heather bleiben. Sein Vater ist im Krankenhaus.«
»Flash? Mein Gott, was ist ihm zugestoßen?«
Julie schüttelte den Kopf. »Nicht ihm. Es geht um Alice und Rose. Jemand aus dem Krankenhaus hat angerufen, und er ist hingefahren.« Julie sah Scott verwirrt an. »Sie wurden von einem Hund angefallen. Heute Morgen. Sie dachten, er wäre tot, glaube ich. Alice hat ihn überfahren und wollte ihn in einer Tierklinik abgeben … damit er nicht auf der Straße liegen bleibt. Dann hat er sie angefallen. Ich glaube, er hat sie gebissen.«
»Mein Gott«, stöhnte Karen.
»Wie schlimm ist es?«, fragte Scott.
»Nick hat gesagt, sie würden seine Mutter an der Hand
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