Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
zugleich. Vorsichtig rutschten sie den zugewachsenen Abhang hinunter. Olga war froh, dass sie die Riemchenpumps gegen bequeme Schuhe eingetauscht hatte.
Irgendjemand hat sich die Mühe gemacht und einen kleinen Steg gebaut, der einige Meter in den See hineinragte.
»Das sieht ganz nach Konrad aus«, sagte Olga, als sie sich auf den Steg setzten und die Füße ins Wasser tauchten. »Er hat bestimmt Bachforellen reingesetzt. Er angelt doch so gerne.«
»Oder Hechte. Sie sind bei Anglern sehr beliebt wegen ihrer Kampfeslust«, erwiderte Juliane.
Sie ließ ihre Füße trotzdem im Wasser baumeln und legte sich dann erschöpft auf den Rücken. Hanna lag auf dem Bauch und tauchte die Hand in das schwarze Wasser. Eine ganze Weile lagen sie so. Ganz dunkel war der Himmel hier am See nie, die glühende Stadt erleuchtete ihn mit ihrem nie verlöschenden Licht.
»Jetzt liegen wir hier, und mir kommt es so vor, als hätten wir uns letzte Woche erst gesehen«, sagte Olga. »Die Leute sind auf einmal wieder so vertraut. Überlegt doch mal, wie viele Jahre wir tagtäglich zusammen waren. Euch kenne ich mit Sicherheit besser als meine eigene Mutter.«
Juliane lachte auf. »Deine Mutter! Was macht sie eigentlich?«
»Sie lebt nach wie vor in Paris. Nach der Trennung von meinem Vater hat sie ein Engagement an der Opéra Garnier bekommen.« Olga musste lachen. »Das war typisch Mama. Ließ zu Hause alles stehen und liegen und ging mal eben nach Paris, ans größte Opernhaus der Welt.« Dann sah sie Juliane aufmerksam an. »Und was ist mit dir, Frau Journalistin? Woran arbeitest du gerade? Korruption im Rathaus oder vielleicht an einem neuen Lifestyle-Artikel mit Fotos von angetrunkenen Wohltätigkeitsveranstaltern, die selbst nicht so genau wissen, warum sie gerade so prominent sind?«
Hanna musste lachen und Juliane legte sich schmunzelnd auf die Seite und zündete sich eine Zigarette an. Die Glut ließ ihr Gesicht für einen kurzen Moment orangerot aufleuchten. Sie hatte offensichtlich auf diese Frage gewartet. »Ich hätte mich in den nächsten Tagen sowieso an dich gewandt. Ich brauche dich«, erwiderte sie geheimnisvoll.
»Wozu?« Olga hatte nicht die geringste Ahnung, was Juliane von ihr wollte.
»Ich beschäftige mich gerade mit herausragenden Persönlichkeiten im Bergischen Land.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Also mit Leuten, die hier wirklich was geleistet haben, über einen langen Zeitraum hinweg, die ein ›Lebenswerk‹ geschaffen haben.«
»
Mich
kannst du dann ja nicht meinen.«
»Nein, aber deinen Großvater natürlich!« Juliane hörte sich fast so an, als wäre sie sauer, dass Olga nicht selbst darauf gekommen war. »Er ist der Letzte einer großen Industriedynastie. Er ist steinalt, aber noch nicht verkalkt, kurzum, er ist das Beste, was einer Journalistin passieren kann.«
»Aber er heißt Vincent Ambach und das macht die Sache kompliziert, wenn nicht unmöglich.«
»Du meinst seine schwierige Art …«
»›Schwierige Art‹ ist gut«, lachte Olga. »Er hat mit allem, was geschehen ist, abgeschlossen, Punkt, fertig. Er redet nicht mehr darüber. Selbst mit mir spricht er nicht über seine Vergangenheit. Und ich bin in der Familie die Einzige, mit der er überhaupt noch redet. Und du wirst sicher bereits an der Haustür von Elise höflich, aber bestimmt zurückgewiesen werden.«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Na dann, viel Glück«, lachte Olga, »vielleicht bringst
du
mir dann meine Familie näher, von der ich so gut wie nichts weiß. Ist das dein einziges Projekt? Du solltest noch Alternativen in petto haben.«
»Habe ich auch. Produktpiraten und Bergisch Heil.«
»Bergisch was?«
»Bergische Neonazis.«
»Oje!«, stöhnte Hanna.
»Ich sage euch, da tun sich Abgründe vor einem auf«, erwiderte Juliane. »Da schreien Sechzehnjährige ›Juden raus!‹ und keiner von denen hat je einen Juden gesehen oder auch nur den Hauch einer Ahnung von jüdischem Leben. Das Schlimmste ist, es gibt wirklich brutale Übergriffe. Das erschreckt mich immer wieder.« Juliane seufzte. »Aber diese Dummköpfe bilden nur den Bodensatz. Anders wird es, wenn du an die Alten, die echten Überzeugungstäter gerätst. Die, die an das glauben, was sie verbreiten.«
»Du meinst, die NP D-Leute , die sich den Anschein von Seriosität geben, weil sie gewählt werden? Aber wie willst du an die anderen herankommen? Hast du gute Kontakte?«, fragte Hanna.
»Ja. Ich muss noch prüfen, ob sie brauchbar sind. Aber
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