Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
und servierte einen Gazpacho mit geröstetem Bauernbrot, das er mit Knoblauch abgerieben, gesalzen und mit Olivenöl beträufelt hatte.
Sie aßen schweigend. Keiner hatte Lust, zu reden. Keiner wollte Gemeinplätze über den Tod ihrer Freundin aus Jugendtagen abgeben. Sie wussten einfach nicht, was sie sagen sollten. Es war zu unfassbar. Zu unwirklich. Und doch mussten sie von nun an mit der Gewissheit leben, dass eine von ihnen höchstwahrscheinlich Opfer brutaler Gewalt geworden war, die sie nur aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung kannten und über die man sonst so leichtfertig und ungezwungen sprach. Hatte ja immer die anderen getroffen. Aber jetzt hatte sie Juliane geholt und die anderen in einer merkwürdigen Unsicherheit zurückgelassen. Keiner von ihnen zeigte wirkliche Trauer. Keiner weinte um sie oder vermisste sie gerade jetzt. Und doch war tiefe Betroffenheit zu spüren, weil sie alle plötzlich mit Gewalt und Tod konfrontiert worden waren. Zurück blieb eine nüchterne Leere. Schal und bodenlos.
Den ganzen Abend lang hatten Polizeibeamte den Wald durchkämmt, Nachbarn und Spaziergänger befragt und Olgas Hütte durchsucht. Sie waren im »Luis« umhergelaufen, hatten die halbfertigen Gästezimmer inspiziert und Fragen über Fragen gestellt. Luis hatte das Treiben mit Argwohn beobachtet, er war unruhig geworden, hatte einige Beamte zur Seite genommen und sie eindringlich gebeten, mehr Rücksicht auf die Gäste zu nehmen, sein Geschäft müsse schließlich weiterlaufen.
»Wo ist Olga, Thorvald?« Hanna unterbrach die düsteren Gedanken der müden Runde. Sie legte die Serviette beiseite und nahm sich Wasser aus der Karaffe.
»Sie schläft.«
»Olga hat gesagt, Juliane habe so ausgesehen, als würde sie sich nur ausruhen«, sagte Benno plötzlich.
Thorvald schob den halbvollen Teller von sich.
»Was hat Olga noch erzählt?« Luis kam hinter der Barhervor und brachte eine Flasche eisgekühlten Pinot Grigio mit.
»Von Stinkmorcheln und dicken blauen Fliegen hat sie gesprochen«, sagte Thorvald.
»Typisch Olga, so was entdeckt sie sofort. Am Abend des Klassentreffens hat sie unten auf der Wildwiese Frauenschuh gefunden«, erwiderte Hanna.
»Na, solange kein Frauenfuß drinsteckte …«
»Das ist eine Orchideenart, Dummkopf!«
»Ja, ja, kein guter Witz.« Thorvald goss sich Wein nach und fuhr sich durch die Haare. »Mir reicht‘s für heute.« Grübelnd sah er auf sein Glas. »Was ist eigentlich mit Julis Eltern? Gibt es die noch?«
»Ich glaube, nur noch die Mutter«, sagte Luis, der sich zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte. Er war unrasiert und sah übernächtigt aus. »Sie wohnt in Köln.«
Schweigend saßen sie da, aßen lustlos ein paar Häppchen und dachten nach.
»Wie lange bleibst du eigentlich, Ines?«, fragte Thorvald plötzlich, als wollte er die Grübeleien, die doch zu keinem Ergebnis führten, aus seinem Kopf verbannen.
»Ich weiß es noch nicht. Ich habe Urlaub und wollte einige Tage mit meinen Eltern und mit Hanna verbringen.« Sie lächelte Hanna zu. Doch dann verfinsterte sich ihre Miene wieder. »Da habe ich seit langem endlich mal Urlaub, freue mich auf meine Schulfreunde, und schon holen mich Mord und Totschlag wieder ein. Als wäre ich mit einem Fluch behaftet, der mir ständig die Toten vor die Füße legt.«
»Juliane wäre auch tot, wenn du nicht zum Klassentreffen gekommen wärst«, sagte Thorvald. »Es sei denn, du hast sie umgebracht. Das wäre dann was anderes.«
»Hör doch mal auf mit so einem Scheiß!« Benno sah Thorvald genervt an. »Vielleicht sollten wir lieber darüber nachdenken, dass hier, irgendwo im Wald, ein Mörder sitzt und schon die nächste schöne Frau im Visier hat. Das kann doch sein! Von Serienkillern liest man doch immer wieder.«
»Wieso seid ihr eigentlich alle so sicher, dass es Mord war«, wandte Luis ein.
»Wir wissen es nicht«, entgegnete Ines, »aber wenn … Benno hat nicht ganz unrecht. Fast jede Tat hat eine Vorgeschichte und wird von Menschen aus dem näheren Umfeld des Opfers begangen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir ihn alle kennen. Oder sie.«
Unbehagen machte sich breit.
»Eifersucht, Neid, vielleicht ging es um Geld …« Ines versuchte alle gängigen Mordmotive aufzuzählen. »Hanna, du hast doch erzählt, dass Juli an irgendeiner Neonazi-Geschichte dran war, vielleicht weht der Wind aus der Ecke.«
Hanna zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht.«
»Mit wem hatte Juliane hier draußen überhaupt
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