Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Olga.«
»Und Luis und Hanna«, fügte sein Vater ergänzend hinzu.
»Ja. Die sowieso.« Benno machte eine lange Pause. »Ich verstehe das alles nicht.«
»Der Tod ist nie zu verstehen. Vor allem nicht bei jungen Menschen«, antwortete Konrad.
Benno wurde zusehends niedergeschlagener. Konrad wusste, warum. Er kannte seinen Sohn. Seit der Trennung von Hanna war er nicht mehr derselbe. Konrad hoffte noch immer, dass die Zeit die Wunden heilen würde. Es waren ja erst vier Monate vergangen. Benno trauerte in Wahrheit um Hanna. Sie hatte ihn verraten, und das war noch viel schwieriger zu verstehen als der Tod. Julianes Tod war für ihn die Verkörperung von Hannas Verlust.
»Ich habe noch eine Stunde Zeit.« Benno wollte nicht mehr über Juliane sprechen. Alle taten es, ohne Unterlass, er konnte es nicht mehr hören. »Ich lege mich noch ein wenig hin, ich bin total müde, die Hitze schafft mich.«
Nach dem Tod von Bennos Mutter vor über zwanzig Jahren hatte Konrad das großzügige Haus am Rande des Waldes nahe der Straße, die über den Winterberg nach Norden führte, verkauft und das wesentlich kleinere, sehr ruhig gelegene Haus oben auf dem Hügel unweit des Sees erstanden. Es hatte nur eine überschaubare Küche mit angrenzendem Wohnzimmer, ein kleines Schlafzimmer, ein Badezimmer und eine winzige Kammer, in der Benno dann und wann schlief, wenn er abends mit seinem Vater den guten Rotwein genoss, den er aus seinem eigenen Keller mitgebracht hatte.
Das eigentliche Schmuckstück des kleinen Anwesens auf dem abgelegenen Hügel aber barg das angrenzende Gebäude, dessen Vorderseite nichts weiter als ein gewöhnlicher Schuppen war. Hinter der großen Holztür aber eröffnete sich die lichte, freie Welt eines Malers. Hier standen Staffeleien herum, Farbpaletten und Pinsel lagen auf kleinen Tischchen, und fertige und halbfertige Bilder lehnten an den Wänden. Die komplette Rückwand sowie Teile des Daches waren herausgenommen und durch Glas ersetzt worden, hinter dem der Wald wachte und wunderbares Nordlicht hereinließ.
Benno hatte seinem Vater geholfen, das Atelier umzubauen und einzurichten und war selbst glücklich über diesen wunderbaren Ort. Gemessen an der Produktivität seines Vaters war der Aufwand allemal gerechtfertigt, denn aus Konrads Hobby hatte sich ein profitables Geschäft entwickelt und jeder aus der Region, der etwas auf sich hielt, hatte einen echten Thalbach über dem Sofa hängen.
Benno lag auf dem Rücken in seinem kleinen Zimmer und betrachtete die weiß gekalkte Decke, an der eine hellblaue Blechlampe hing. Mindestens zehn kleine Fliegen schwirrten um die Lampe herum, und er fragte sich, warum sich die Fliegen immer an Lampen in der Mitte des Zimmers trafen. Das taten sie in seiner Wohnung auch. Er versuchte sie zu zählen, versuchte zu schätzen, teilte sie in Dreier- und Vierergruppen ein und meinte, Größenunterschiede festzustellen. Sie gaben keinerlei Geräusch von sich, rasten nur wie besessen um die Lampe und hörten niemals auf. Ihm schwindelte und er kniff die Augen zusammen. Als er sie nach einer Weile wieder öffnete, sah er Julianes Gesicht vor sich. Aus den leeren Augenhöhlen krabbelten Fliegen über Fliegen. Mit einem Aufschreischreckte Benno hoch. Schweißgebadet saß er im Bett. Alles war still. Es war zehn nach drei.
Benno schoss fluchend aus dem Haus, von Konrad keine Spur. Er packte seine Tasche mit den Unterlagen, die auf der Bank lag, und lief den steilen Weg, der unten zwischen den Tannen verschwand, hinab. Er wusste genau, dass er sein Tempo bei diesem Wetter lieber drosseln sollte, untrainiert, wie er war. Als er unten angekommen war, verließen ihn seine Kräfte. Keuchend und triefend nass stand er an dem Bach und stellte fest, dass er sein Handy vergessen hatte. Er konnte nur hoffen, dass die Archäologin nett war und wartete.
Maria Haller wartete tatsächlich. Die Beine übereinandergeschlagen, einen Apfel in der Rechten, ein Buch in der Linken saß sie am Rande des Hohlweges und schaute auf, als Benno näher kam. Sie winkte ihm freundlich zu.
»Na? Verschlafen?«, rief sie fröhlich und Benno fragte sich, woher sie das wusste.
»Schön wär‘s«, log Benno, immer noch atemlos. »Ich habe heute meine Termine zu eng gelegt und nicht bedacht, dass bei der Hitze alles langsamer geht.« Er ging davon aus, dass er glaubwürdig war, und fühlte sich nicht mehr so ertappt.
Langsam gingen sie die schmale, asphaltierte Straße entlang. Die Archäologin wollte
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