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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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Gründerzeit-Fabrikgebäude aus Backstein, die dem Fluss und seiner Umgebung das unverwechselbare Gesicht verliehen. Nichts war hier geschönt, es gab kein Möchtegern-Getue mit aufgeschraubter Hochglanzfassade. Man fuhr direkt über die Werkhalle einer Autowerkstatt, die Labors und Chemikaliendämpfe von Bayer, vorbei am Kirchenaltar und an den Wohnzimmern der hier lebenden Menschen.
    Hatte sich der Fahrgast nach einigem Gedrängle einen Sitzplatz ergattert, konnte er, den Arm auf die breite Gummidichtung der Fenster gestützt, den Fluss absuchen. Der allgegenwärtige Knöterich bildete einen geschlossenen Ufersaum und verdeckte den Müll am Ufer. Mit einigem Glück erwischte das aufmerksame Augeeine Wasserratte, die zwischen verrosteten Einkaufswagen herumwuselte, sah zerfledderte Einkaufstüten, die für immer und ewig an herabgestürzten Ästen festhingen, oder entdeckte neben den in der Strömung wiegenden Büscheln des Wasserhahnenfußes einen riesigen Hecht, der neben einer Baumwurzel im Wasser stand.
    Thorvald kam nicht in den Genuss dieser Abenteuer. Er stand in der Mitte eines dichten Menschenpakets, ohne Chance auf einen Haltegriff. Der war auch gar nicht nötig, denn er wurde von stark riechenden, verschwitzten Leibern gehalten, die sich rhythmisch im Kurvenverlauf wiegten. Es war spätnachmittags, und in eine unangenehmere Situation hätte er sich nicht bringen können. Das wurde ihm immer deutlicher bewusst. Die Leute hatten nach einem langen Tag Feierabend und Hunger. Er dagegen hatte einen entspannten Besuch bei Benno hinter sich, bei dem sie noch einmal in Erinnerungen geschwelgt waren.
    Ein Vibrieren in seiner vorderen Hosentasche riss Thorvald aus seinen Gedanken. Thorvald versuchte, sein Handy aus der Tasche zu fischen, ohne allzu sehr auf Tuchfühlung mit dem Dicken neben ihm zu gehen.
    »Hæ!«, schrie er auf Isländisch in das gerade einsetzende Quietschen.
    Köpfe fuhren herum, böse, gelangweilte Blicke wurden ihm zugeworfen. Der Empfang war schlecht und Olgas aufgeregte Stimme drang nur in Fetzen an sein Ohr.
    »Ich kann dich nicht verstehen«, rief Thorvald genervt.
    »Dann quatsch doch draußen!«, rief einer hinter ihm.
    Die Verbindung war mittlerweile unterbrochen, doch Thorvald hielt sich das Telefon weiter ans Ohr. Es lag eine gerade Strecke vor ihnen und kein Quietschen störte die intime Runde.
    »So, ja, jetzt ist es besser!«, sagte er laut und deutlich, obwohl er niemanden mehr am anderen Ende hatte.
    »Ich weiß nicht, warum man noch eine weitere Untersuchung veranlasst hat. Die ersten Ergebnisse waren nicht eindeutig, ich kann aber nach Hause   … Was?… Keine Ahnung. Aber bestimmt ist es nicht ansteckend!… Ja, ja   … ich bleibe solange zu Hause.«
    Er wischte sich mit der anderen freien Hand den Schweiß von der Stirn. »Ja   … bring die Kinder zu Oma. Ist vielleicht besser!«
    Ohne auf die Umstehenden zu achten und
sehr
besorgt steckte er sein Telefon wieder in die Tasche. Dass er jetzt wenigstens eine Haltestange für sich allein hatte, machte die Luft auch nicht besser, aber so konnte Thorvald die Fahrt nach Oberbarmen wenigstens halbwegs menschenwürdig fortsetzen.
    An der Endstation erbrach die volle Bahn ihren Inhalt schwallartig auf den Bahnsteig. Thorvald stand eine Weile reglos da, dann ging er langsam an das Ende des Bahnsteigs und schaute auf den Fluss hinunter, dessen bräunliche Brühe nur knapp das steinige Flussbett bedeckte. Vor dem Bahnhof standen Grüppchen von Jungen herum, alle in glänzenden, schwarzen Trainingshosen mit Knopfleisten an den Beinen und offenen Schuhen, bewaffnet mit Bierdosen oder Handys, mit denen sie sich unentwegt beschäftigten. Lautstark unterhielten sie sich in einer abenteuerlichen Mischung aus Türkisch, Russisch und Deutsch.
    Die Bahn war längst wieder abgefahren, als ihm jemand auf den Rücken klopfte. Er drehte sich um.
    Ines Sadur stand hinter ihm, im kurzen Sommerkleid, einen Rucksack auf dem Rücken und den Strohhut auf dem Kopf. Sie wirkte erschöpft und lächelte Thorvald müde an.
    »Hallo!«, rief Thorvald erstaunt. »Wo kommst du denn her?«
    »Ich war bei meinen Eltern. Fährst du auch wieder in den Wald?«, erkundigte sie sich müde. Sie wartete die Antwort nicht ab und packte seinen Arm. »Thorvald! Was ist mit Juli passiert? Weißt du was Neues?«
    »Juliane?« Er runzelte die Stirn und sah sie neugierig an. Er war fast einen Kopf größer als Ines. »Was soll mit ihr sein?«
    Ines warf ihm einen ernsten

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