Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Wunder«, warf Benno ein. »Er hat es ihnen ja auch nicht gerade leicht gemacht. Ich finde es umso erstaunlicher, dass Roman nicht einfach weggegangen ist, um woanders sein eigenes Leben zu leben. Seine Praxis hat er sich direkt vor Vincents Nase aufgebaut.« Benno seufzte. »Ich habe meine ganze Kindheit mit Romans Kindern verbracht und kann einfach nicht verstehen, warum ein so verbitterter Mann wie der alte Ambach nicht endlich Frieden schließen kann. Und keiner traut sich, ihm die Meinung zu sagen.«
»Kommt ja niemand an ihn ran. Außer Gudrun Himmelreich vielleicht.«
»Und dir. Aber du sagst ja auch nichts.« Benno schüttelte resigniert den Kopf. »Mit Olga spricht er doch, oder?«
»Er lehnt seine Enkeltochter jedenfalls nicht ab«, sagte Konrad. »Bei Lissy bin ich mir nicht sicher, die schlägt so nach ihrer Mutter, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sie jemals einen Fuß über seine Schwelle gesetzt hat, ganz zu schweigen von Winnie selbst.«
»Mann, ist das krank«, Benno schüttelte verständnislos den Kopf. »Andere wären froh, wenn sie mit vierzig noch Großeltern hätten. Und die haben nichts Besseres zu tun, als sich das Leben schwer zu machen.«
»Tja«, erwiderte Konrad, »die leidenschaftlichsten Kämpfe finden eben innerhalb der Familie statt.«
»Wenn die Haustür abgeschlossen ist«, ergänzte Benno.
Schweigend saßen sie da. Von Konrads schmalem Küchentisch aus, der mitten in der kleinen Küche stand, konnten sie auf den Weg schauen, der ins Tal hinabführte. Schon lange bevor ein Gast an seine Tür klopfte, wusste Konrad, wer sich zu ihm hinaufbemüht hatte. Und das waren nicht viele. Der Briefträger und Benno, manchmal schaute Roman vorbei. Sonst kam keiner. Und Konrad war froh darüber, eigentlich mochte er keine Überraschungsbesuche. Sie kamen doch immer ungelegen und störten ihn bei der Arbeit.
Benno stand auf und reckte sich. Er fühlte sich schwer und müde. Die Hose schnürte ihm den Bauch ein, er musste dringend abnehmen. Das viele Sitzen im Museum hatte ihm einige zusätzliche Kilos beschert, es war nicht dramatisch, aber er fühlte sich unwohl. So richtig bewusst war ihm das erst nach dem Klassentreffen geworden. Vor allem die Mädels konnten es nicht lassen, ihm in den Bauch zu zwicken. Und die Hitze trug verstärkt dazu bei, dass er sich aufgedunsen und schwabbelig fühlte. Er würde daran arbeiten. Jetzt, wo er satt war, fiel ihm die Vorstellung, ein wenig zu hungern, leicht, und er freute sich, ab morgen weniger zu essen.
»Wann hast du deinen Termin?« Konrad riss ihn aus seinen Träumen vom vollendeten Körper.
»Ich treffe mich um drei mit einer Archäologin.«
»So?« Konrad war immer interessiert an Bennos Arbeit.»Was will eine Archäologin mit einem Kunsthistoriker hier im Wald?«
»Sie sucht nach Bodendenkmälern. Und sie hat hier ganz in der Nähe einen wahren Schatz gehoben. Bisher hatte sie nur Gebrauchsgegenstände gefunden, doch die neue Fundstelle unten am See birgt ganz offensichtlich auch Kunstgegenstände. Ich will mir das mal näher anschauen.«
Unbehagen überkam ihn bei der Vorstellung, gleich mit der agilen Forscherin den Furchen der Hohlwege folgend die steilen Hänge hochzukrabbeln. Die Hitze würde ihr ständiger Begleiter sein und alles Tun und Handeln in ihr heißes Gewand hüllen. Benno steckte zwar mitten in den Vorbereitungen für die neue Ausstellung, aber die Geschichte seines Waldes hatte ihn immer interessiert. Es war also eher ein Treffen mit privatem Hintergrund, aber wer wusste, was sich daraus entwickeln würde?
Er stand auf und ließ kühles, weiches Wasser aus der Leitung in ein großes Glas laufen. Behutsam trank er es in kleinen Schlucken. So muss man es machen, dachte er, wenn man fasten will, das Wasser kauen. Aber so weit war er noch nicht. Dafür würde er erst die Rotweinflaschen aus seinem Keller verbannen müssen. Und das war ein sehr hoher Preis.
Er trank den Rest Wasser in einem Zug aus, spülte das Glas ab und trocknete es sorgfältig.
Konrad beobachtete ihn aufmerksam. »Was ist mit der toten Frau?«, fragte er unvermittelt.
Es kam Benno so vor, als hätten sie sich die ganze Zeit um dieses Thema gedrückt. Aber als beide für einen Moment schwiegen, hatte es sich von allein in den Vordergrund geschoben. Ein neuerliches Unwohlsein bedrängte ihn.
»Keine Ahnung«, seufzte er. »Ich war heute Morgen im Präsidium, zusammen mit den anderen. Ich meine, mit denen, die noch hier sind. Thorvald, Ines,
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