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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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um, dann ging sie langsam auf eine offene Tür zu. Dass gedämpfte Licht legte einen Schleier auf das Chaos, das hier zurückgeblieben war.
    Die kleine Küche hätte ein geschmackvoller und wohnlicher Ort sein können. Die Möbel waren hübsch und maßgearbeitet, das Geschirr stand in offenen Regalen, alles war praktisch und zweckmäßig angeordnet, wie in einer guten Werkstatt. Der Raum gab sofort preis, dass Juliane hier oft und gerne kochte. An der Zahl der überallherumstehenden Weingläser war abzulesen, dass sie nicht allein gewesen war.
    Der Gestank, der aus der vollgepackten Geschirrspülmaschine strömte, war bestialisch. Am liebsten hätte Olga die Klappe zugeschlagen und sie sofort angestellt, aber sie beherrschte sich.
    Olga hielt es in dem Gestank nicht länger aus und ging in den kleinen Flur zurück, der geradeaus in das Wohnzimmer und links zu einer Wendeltreppe führte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie mit dem Haus auch Julianes Leben betreten hatte. Aber sie musste sich nicht an die Gesetze des Anstandes halten, sie konnte alle Grenzen überschreiten. Sie würde Schubladen herausziehen, kleine Döschen öffnen, in Schränken wühlen.
    Olga stellte sich vor, was jemand empfinden musste, der in ihr eigenes Reich eindrang. Ihre Habseligkeiten betrachtete. Gab es etwas, wofür sie sich schämte, etwas, was sie vor aller Welt verbarg, etwas, das sie verraten, gar entblößen würde? Olga blieb vor dem großen schmalen Spiegel in Julianes Flur stehen, der vom Fußboden bis zur Decke reichte, und erschrak.
    Olga gab das Bild einer Frau auf der Flucht ab, die sich durch die Gluthitze Arizonas geschleppt, einen reißenden Fluss überwunden und die mückenverseuchte Ebene nur knapp überlebt hatte.
    Die rotblonden Haare waren schlampig hochgesteckt, das Gesicht war schweißbedeckt und gerötet. Der helle Rock hatte bei der Kletterei durch das Kellerfenster schmutzig graue Spuren abgekommen.
    Sie wandte sich mit verächtlichem Gesicht ab und stieg die Metalltreppe hinauf. Das Innere des Hauses stand in krassem Gegensatz zu seinem äußeren elenden Erscheinungsbild. Die Wohnung war neu hergerichtet worden,die Holzdielenböden abgeschliffen, die Wände frisch verputzt.
    Die Hitze unter dem Dach war unerträglich. Der Schweiß lief Olga über Rücken und Bauch. Sie sah sich um. Hier waren das Schlafzimmer und ein zweites Arbeitszimmer mit einem Gästebett.
    Sie wusste gar nicht genau, wonach sie suchte. Vielleicht wollte sie ein Gespür dafür bekommen, welcher Geschmack, welche Ideen und welche Vorstellungen Juliane eigen waren. Olga war in Julianes Welt eingedrungen, um zu verstehen. Im Schlafzimmer hing ein Foto von Juliane. Sie nahm es von der Wand und betrachtete es. Juliane war eine schöne Frau gewesen. Zu Schulzeiten dagegen hatte sie eher unscheinbar gewirkt. So hatte es Olga zumindest empfunden. Thorvald hatte bereits damals die verborgene und schlichte Schönheit seiner Klassenkameradin entdeckt. Nicht groß, nicht dick, nicht dünn, etwas blass. Immer und ewig dieselbe Brille. Die braunen dünnen Haare zu einem Zopf gebunden. Als mittelmäßige Schülerin musste sie einiges dafür tun, ihr Notenniveau zu halten. Ihr flog nie etwas zu wie den Spitzenreitern des Jahrgangs, die ständig abstritten, irgendetwas für die Schule zu tun.
    Juliane hatte eine Wandlung vollzogen. Aus dem kleinen unscheinbaren Pony war ein elegantes Turnierpferd geworden. Olga musste über ihren komischen Vergleich lächeln. Aber sie fand nun einmal, dass Anmut und Ästhetik der Pferde von keinem anderen Lebewesen übertroffen wurden. Die Weiblichkeit hatte sich bei Juliane genau an die richtigen Körperstellen geschmiegt und verfehlte ihre Wirkung auf die Männer nicht, wie Olga beim Klassentreffen leicht hatte feststellen können.
    Juliane hatte als erwachsene Frau zu den Menschen gehört,die man gern und ein wenig neidisch und verstohlen betrachtete. War der Mörder so besessen von ihr gewesen, dass er sie erst tötete, um sie dann in aller Ruhe anzuschauen? Es gab solche Menschen. Olga schauderte.
    Julianes Bett war ordentlich gemacht und schön breit. Der ganze Raum strahlte trotz des Dämmerlichts eine helle Ruhe aus. Der weiß lackierte Holzboden, das weiße Bett, die weiße kühle Leinendecke, alles war unschuldig und frisch und bot ihr und Luis Gelegenheit, schöne Stunden zu verbringen. Und bestimmt hatte Luis sich hier ebenfalls wohl gefühlt.
    Luis und Juliane. Irgendwie passten die beiden gut zusammen. Olga sah

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