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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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Schmerz durchschoss sie wie ein stumpfer vergifteter Pfeil. Langsam drehte sie sich um. Sie würde jetzt gleich ihre Sachen zusammenpacken, ein Taxi rufen und abreisen. Nie wieder wollte sie in diesen Wald zurückkehren. Was für ein verfluchtes Stück Erde.
    Wie betäubt ging Olga den Weg zurück. Sie musste gleich da sein. Sie hatte bereits die beiden uralten Eichen passiert, deren wulstartige Verwachsungen der Wurzeln an zwei gewaltige Dinosaurierfüße erinnerten. Sie bemerkte nicht einmal den Schatten, der sich langsam aus dem großen Eibenbusch löste und ihr in einigem Abstand lautlos folgte. Seltsamerweise machte er nicht die geringsten Geräusche.
    Olga hatte die Hütte erreicht, ging hinein und schloss die Tür zweimal ab. Ihr war so schwer ums Herz. Sie machte kein Licht und stellte sich ans rechte Fenster. Wie gestern Nacht, als die Augen plötzlich am Fenster aufgetaucht waren. Doch diesmal waren es nicht Augen. Ein Mann stand auf der Veranda und schaute sie an. Er war jung und groß. Und er weinte.
    Olga rannte zur Tür, drehte den Schlüssel um und lief auf die Veranda. Er öffnete die Arme und umschloss sie fest.
    »Jetzt hat man uns beide betrogen«, sagte Ruben traurig.»Olga, Olga   …« Immer wieder strich er tröstend über ihr Haar.
    Die Worte hallten nach, und als Olga die Augen aufschlug, sah sie in Thorvalds Gesicht, der sich über sie beugte und sie sanft zu wecken versuchte.
    »Olga, bist du wach?«, fragte er leise. Die Ohrfeige schallte durch die Nacht und Thorvald ließ sich mit offenem Mund rückwärts auf das Bett fallen. Olga starrte ihn wirr an und richtete sich schnell auf.
    »O Gott!« Sie kniete sich schnell vor ihn und hielt seine Wangen.
    »Sag mal, hast du ’nen Knall?«, fragte er, nachdem er den Schreck überwunden hatte.
    Olga war schweißnass und vollkommen durcheinander. »Was ist denn los?« Thorvald strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
    »Thorvald!« Erleichtert ließ sie sich wieder ins Bett fallen. »Gott sei Dank. Ich habe von dir und   … ich hatte einen so furchtbaren Traum.«
    Sie sah sich um. »Wo ist Benno?«
    »Von Benno war keine Spur zu sehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich konnte ihn ja schlecht rufen. Ich wollte ihn auch nicht anrufen.«
    »Ach Mann«, stöhnte Olga und richtete sich auf. »Was passiert denn noch alles?«
    Sie gingen die Treppe hinunter und Olga schaute auf die Uhr.
    »Wenn ich nicht bald mal eine Nacht durchschlafe, weiß ich nicht, wie ich das hier alles durchstehen soll«, sagte sie gähnend und setzte sich an den Tisch. Der intensive Traum hatte sie noch fest im Griff.
    »Seit ich hier bin, muss ich immer wieder an Ruben denken.«
    »An Ruben?« Thorvald drehte sich um. »Ist der nicht schon vor Ewigkeiten gestorben?«
    »Ja, vor dreißig Jahren.« Olga stand auf und stellte sich neben Thorvald ans Fenster. Sie dachte daran, dass es bald hell werden würde und die Vögel wieder laut zu singen beginnen würden.
    »Ich träume von ihm, und tagsüber muss ich oft an ihn denken. Ich habe sogar wieder seine Stimme im Ohr. Seine warme, schöne Stimme.«
    »Er hatte einen Unfall, oder?«
    »Ja, er ist mit seinem Wagen von einer kurvigen Straße abgekommen, hier ganz in der Nähe.« Olga machte eine Pause. »Er war die ganze Steilböschung hinabgestürzt. Mich hatte er unmittelbar zuvor zu Hause abgesetzt.«
    »Was? Davon weiß ich ja gar nichts.«
    »Niemand weiß es, weil keiner zu Hause war, als ich ankam. Ich habe es nie erzählt. Das ist Rubens und mein Geheimnis.«
    »Du hast ihn sehr gemocht?«, fragte Thorvald.
    Olga nickte stumm und sah zur leeren Veranda hinaus, auf der Ruben eben noch gestanden hatte.
    »Hat man eigentlich herausgefunden, was die Unfallursache war?« Thorvald sah Olga an. »Hat er sich umgebracht?«
    »Er war zu schnell. Warum fragst du, ob es Selbstmord war?«
    »Ich weiß nicht. Ich kann mich nur noch an den endlosen Streit erinnern, den dein Großvater mit seinen Söhnen hatte, vor allem mit Ruben, weil er als der Ältere nur ungern die Firma übernehmen wollte.« Thorvald überlegte. »Ich weiß nicht mehr, warum ich das damals dachte. Das ist schon so lange her. Wenn du sagst, es ist vor dreißig Jahren passiert   … da waren wir zehn.«
    »Ruben war der Lieblingssohn meines Großvaters«, fuhr Olga fort. »Großvater hat ihn vergöttert. Und Ruben hätte die Firma tatsächlich übernommen. Er hatte sogar Betriebswirtschaft oder so was studiert. Nur wegen Großvater. Das hat mein Vater mir mal

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