Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
herumzustochern.
»Du willst das doch nicht etwa essen?«, fragte Olga ungläubig.
»Warum nicht? Das ist Gammelfleisch allererster Güte.« Er drehte die Dose, doch das Etikett hatte sich abgelöst. »Oder gutes Katzenfutter.«
Er gabelte beherzt los. Die beiden Frauen sahen ihm neugierig zu. Als Thorvald mit dem Essen fertig war, brachen die drei auf, Ines ging in ihr Zimmer, Thorvald und Olga Richtung Wald.
Todmüde kamen Olga und Thorvald an der Hütte an. Olga hatte sich etwas Spitzes in die Ferse getreten und humpelte die letzten Meter auf Thorvalds Arm gestützt. Sie war froh, als sie sich endlich auf das Sofa fallen lassen konnte.
»Wir haben gar nicht an den Hund gedacht«, rief Olga. »Er hätte doch wieder vor der Tür liegen können.«
»Ich bin mir fast sicher, dass der Hund nur eine Warnung sein sollte«, sagte Thorvald. »Aber man kann nie wissen. Mannomann, bin ich müde.« Er schaute auf den kleinen Wecker. Es war genau ein Uhr.
»Oh nein, Benno!«, rief Olga plötzlich laut und schlug sich mit der Hand auf den Mund. Sie stand vor Thorvald, ihre Kleidung verschmutz, das rechte Fußgelenk von einer dornigen Ranke gestreift und blutig.
»Was ist mit Benno?«, fragte Thorvald müde.
»Wir haben ihn vergessen. Er liegt oben am Steinbruch, um Robert zu observieren.«
»Ist der jetzt total verrückt geworden?«
Olga erzählte ihm von dem Treffen mit Benno im Museum und von seinem Verdacht mit Roberts Geschäften.
»Das darf doch nicht wahr sein.« Thorvald stand auf und zog sich seine Schuhe wieder an.
»Was hast du vor?«
»Na, ihn suchen und hierher bringen, bevor er noch die Felswand runterfällt oder sonst irgendeinen Blödsinn anstellt.«
»Ich komme mit.«
»Und dein Fuß? Lass mal sehen.« Er setzte sich wieder aufs Sofa und Olga legte ihren Fuß auf seinen Schoß.
»Du hast dir ein paar Dornen eingetreten. Ich versuche sie herauszuziehen, und dann legst du dich ins Bett.« Er küsste sie auf das Knie. »Ich komm so schnell wie möglich wieder zurück und dann …« Ein zweiter Kuss auf Olgas Oberschenkel, doch dann stand Thorvald auf und suchte eine Pinzette.
Nachdem Thorvald aufgebrochen war, hatte Olga sich an der Küchenspüle gewaschen und anschließend ihreKleider eingeweicht. Im Spülschrank hatte sie einen uralten Rest verklumptes Waschmittel gefunden. Sie war bleiern müde, aber unruhig. Die ganze Situation hatte sich zugespitzt. Am liebsten hätte sie jetzt ihre Leute um sich gehabt. Thorvald, Benno, Hanna und ihren Vater. Sie betrachtete sich im Spiegel und öffnete die Spangen, mit denen sie das Haar hochgesteckt hatte. Auch das kräftige Striegeln mit der Bürste half nicht mehr viel. Das frische Blond mit dem leicht rötlichen Schimmer war stumpf und strähnig. Morgen würde sie die Haare waschen. Langsam ging sie die Treppe hoch und legte sich in das zerwühlte Bett.
Die Vorstellung, dass die beiden da draußen im dunklen Wald herumliefen, ließ Olga keine Ruhe. Vielleicht hatte der Hund schon Witterung aufgenommen. Und dann? Benno hatte sich mit Pfefferspray bewaffnen wollen. Thorvald dagegen war wehrlos.
Die Unruhe verdrängte die Müdigkeit. Sie erhob sich schwer aus dem Bett und schlüpfte in die alten Espadrilles, deren Sohlen schon so oft nass geworden waren, dass Olga das Gefühl hatte, sie ginge auf Frühstücksbrettchen. Sie schnappte sich das große alte Küchenmesser und machte sich auf den Weg. Die Schuhe schlappten über den schmalen Waldweg, sie waren zu weit geworden. Irgendwann ließ sie die Dinger einfach liegen. Sie waren ein Naturprodukt und würden irgendwann einfach zerfallen. Hoffentlich kam ihr jetzt kein nächtlicher Gast aus dem »Luis« entgegen. Der tat ihr jetzt schon leid.
War dort hinten nicht Thorvalds heller Schopf zu sehen? Er ging ruhig und zielstrebig, wie es seine Art war. Unbeirrbar. Doch dann sah sie plötzlich einen zweiten Kopf. Die Person war kleiner und deutlich schmaler. Die langen, schwarzen Haare liefen in der Mitte des Rückens spitz zuund sie bewegte sich auffällig graziös neben Thorvald, der jetzt seinen rechten Arm um sie legte. Genauso wie er es immer bei ihr tat. Olga blieb wie angewurzelt stehen, das Messer so fest umklammert, dass die Handknöchel schmerzten. Als die beiden hinter der letzten Kurve vor dem Steinbruch verschwanden, drehte Nyoko sich kurz um und lächelte Olga an.
Geschockt stand Olga da. Sie dachte an gar nichts mehr. Genauso wie am Montag, als sie die tote Juliane gefunden hatte. Der
Weitere Kostenlose Bücher