Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
Vom Netzwerk:
erzählt. Du weißt ja, dass Ruben ein großartiger Maler war. Das war seine eigentliche Leidenschaft, nicht der Dampfhammer. Aber er hatte sich irgendwie arrangiert   … und dann war er plötzlich tot.«
    Olga atmete laut aus und musste plötzlich lachen. »Und dann gab es da noch Heinrich.«
    »Heinrich?«
    »Kannst du dich nicht mehr an Heinrich erinnern?«
    Thorvald schüttelte den Kopf. »Nein!«
    »Auf ihn setzte mein Großvater seine ganze Hoffnung. Er sollte Ruben einarbeiten, bis dieser das Ruder übernehmen konnte. Mehr weiß ich eigentlich gar nicht über ihn. Auf jeden Fall war er ein Scheusal, wie es wohl kein zweites auf der Welt gibt. Und arrogant.« Olga wandte sich vom Fenster ab und setzte sich auf das Sofa. »An sein Gesicht kann ich mich auch nicht mehr erinnern, aber sein zynischer Ausdruck ist mir in Erinnerung geblieben; er zog den Mundwinkel immer so hoch. Für uns Kinder hatte er nur Verachtung übrig. Lissy hat er einmal damit gedroht, sie mit einem Gullydeckel am Bein in den See zu werfen, wenn sie nicht augenblicklich verschwinde. Ab da hat sie jedes Mal angefangen zu heulen, wenn er auftauchte.«
    Thorvald lachte und nickte zustimmend mit dem Kopf. »Ja, so erzieht man Kinder! Was ist aus dem geworden? Kinder hat er ja bestimmt keine.«
    »Hoffentlich nicht«, sagte Olga. »Er war irgendwann nicht mehr da. Es wurde nie mehr über ihn geredet.«
    »Reden ist sowieso nicht die Stärke der Ambachs, scheint mir«, bemerkte Thorvald.
    »Nein«, seufzte Olga. »Auf jeden Fall muss dieser Heini was Besseres gefunden haben, oder er hatte das Theater mit den eigensinnigen Söhnen des Diktators satt. Der Sommer damals war der blanke Horror.«
    Thorvald ging zum Kühlschrank in der Hoffnung, dort ein kühles Getränk zu finden.
    »Mann, hab ich einen Durst.«
    »Du hättest die Nummer einundvierzig nicht essen sollen. Selber schuld«, lachte Olga.
    Mit einer Flasche Wasser in der Hand setzte er sich wieder zu Olga.
    »Das weiß ich dann wieder«, knüpfte Thorvald an Olgas Schilderung an. »Vor allem, dass Roman so außer sich war. Ich habe nie mehr eine so heftige Reaktion auf den Tod eines Menschen erlebt. Wenn ich darüber nachdenke, war er nach Rubens Tod nicht mehr der Roman, den wir alle kannten.«
    »Ja, es war furchtbar. Ruben war für ihn mehr als nur der große Bruder. All die Kraft, die er für den Widerstand gegen seinen Vater brauchte, bekam er von ihm. Roman hat es nie ausgesprochen, aber in seinem tiefsten Inneren machte er seinen Vater für Rubens Tod verantwortlich.«
    »Reden sie immer noch nicht miteinander?«, fragte Thorvald, nachdem er fast die halbe Flasche ausgetrunken hatte.
    »Du hast es eben selbst gesagt: Reden ist nicht die Stärke der Ambachs. Dass Roman und Vincent sich unterhalten, werden wir beide nicht mehr erleben.«
    Olga stand auf. »Mir ist, als ob Ruben hier wäre. Schon die ganze Zeit spüre ich seine Präsenz. Ich glaubte sogar, vorhin seinen Geruch in der Nase zu haben. Ihn umgabimmer ein ganz eigener Duft, ich habe nie herausbekommen, was das war, irgendwas mit Sandelholz. Aber ich erkenne ihn sofort wieder. – Warum tut er das?«
    »Was?«
    »Warum lässt er mich auf einmal nicht mehr in Ruhe?«
    »Keine Ahnung.« Thorvald gähnte herzhaft. »Mich lässt Benno nicht in Ruhe. Was treibt der da draußen bloß?« Er sah Olga hilflos an. »Muss ich ihn jetzt wirklich suchen?«
    »Eigentlich müsste er wissen, was er tut.«
    »Genau das tut er ja gerade nicht. Ach zum Teufel«, Thorvald sah Olga aus müden Augen an. »Ich gehe jetzt ins Bett.«
    »Ich komme gleich nach.«
    Als Olga ein paar Minuten später die Treppe hinaufschlich, war Thorvald bereits eingeschlafen.

14
    Gudrun Himmelreich trug ein dezentes helles Kostüm, das ohne weiteres eine Dreißigjährige hätte tragen können. Sie hatte eben die Figur dazu. Die weißen Haare waren zu einem kräftigen Zopf geflochten, der ihr weit den Rücken hinunterreichte. Das zurückgekämmte Haar betonte die hohe schöne Stirn und die dunklen Augen. Ihre Haltung und ihre Bewegungen waren entschieden und vermittelten Sicherheit und preußische Disziplin. Selbst ihre Stimme war alterslos und fest.
    Sie ist vermutlich schon als Sekretärin auf die Welt gekommen, dachte Olga, während sie beobachtete, wie Frau Himmelreich den Gästen Tee servierte. Obwohl sie zu Gast bei Vincent war, hatte sie Elise das Tablett abgenommen und sie wieder hinausgeschickt. Als die Zeremonie beendet war, setzte sie sich mit ihrer Tasse

Weitere Kostenlose Bücher