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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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abzumildern. Der Moment, in dem Konrad sein Werk für fertig erklärte, konnte sehr lange auf sich warten lassen. Manchmal kam er auch gar nicht.
    Das Bild zeigte eine Jagdszene mit einem gerecht gestreckten Hirsch. Der Jäger hatte das Tier bereits als seines gekennzeichnet und ihm den Inbesitznahmebruch, den kleinen abgebrochenen Fichtenzweig, aufgelegt.
    »Damit wird einem anderen Jäger angezeigt, dass das Stück ordnungsgemäß erlegt und nicht gewildert worden ist«, erklärte Olga.
    Konrad hatte seine dünne krümelige Zigarette ausgedrückt. »Aber ich schätze mehr den symbolischen Charakter dieses Rituals. Du kennst dich noch gut aus, Olga.«
    »Ich bin in einer Jagdhütte groß geworden«, erwiderte sie. Wieder betrachtete sie das Werk. »Der Zweig ist auch der letzte Schmuck des erlegten Wildes. Es wird damit geehrt, so wie wir unsere Toten mit Blumenschmuck ehren.«
    Bei diesen Worten hielt Olga inne und Konrad senkte den Pinsel. Er stand von seinem Hocker auf. Er sah krank aus, so als wäre er seit dem Abend zuvor um zehn Jahre gealtert.
    Sie gingen hinaus vor das Atelier und setzten sich auf die Bank, die aus einem dicken Buchenbrett bestand, das auf zwei Baumstümpfen lag. Von dort aus hatte man den schönsten Blick ins Tal.
    »Konrad?« Thorvald betrachtete ihn lange von der Seite.
    »Als Benno sagte, irgendetwas würde Ärger geben   … meinte er damit deine Bilder?«
    Konrad blinzelte.
    »Ich meine, die hinter dem Paravent«, ergänzte Thorvald.
    Konrad verzog keine Miene.
    »Bilde, Künstler. Rede nicht!«, sagte Thorvald nach einer Weile und sein Blick verlor sich ebenfalls in den anmutigen Farbspielen des Tales unter ihnen.
    An dieser Stelle war der Hang nur spärlich bewachsen, wie um Konrad einen Gefallen zu tun, ihm die Sicht nicht zu nehmen. Olga mochte diesen sonnenbeschienenen Hang immer besonders gern. Ihn hatten die allgegenwärtigen Buchen und Fichten nicht erobert und er wirkte durch den blühenden Ginster, das Steinkraut und die Glockenblumen fast exotisch. Einmal, so erinnerte Olga sich wieder, hatte sie hier mit ihrem Vater Enzian gefunden. Sie konnten es kaum glauben, aber das Bestimmungsbuch bestand darauf: Gentiana germanica. Sie hatten ihn stehen gelassen und Olga hatte ein Foto davon gemacht.
    »Benno will nicht, dass ich für Vincent arbeite«, sagte Konrad irgendwann.
    »Warum nicht?«, fragte Olga erstaunt. »Das hast du doch schon immer getan.«
    »Schon   … ja. Früher war ich einer seiner vielen Angestellten   …«
    »…   du warst neben Gudrun Himmelreich eine absolute Vertrauensperson«, unterbrach Olga.
    »Hm.«
    »Was ist passiert, Konrad?«, fragte Thorvald. »Was meinte Benno, als er sagte, es würde Ärger geben?«
    »Das kann nur mit dem Einbruch bei mir zusammenhängen«, entgegnete Konrad leise. »Benno ist nicht begeistert von meinen Kopien   …«
    »Der Einbruch   … ja. Luis hat mir davon erzählt. Welche Bilder wurden denn geklaut. Landschaften zufällig?«
    Konrad sah Thorvald fragend an. »Nein, es waren ausschließlich Impressionisten. Drei insgesamt.«
    »Was glaubst du   … wer könnte das getan haben?«
    Thorvald lehnte sich zurück, streckte die Beine von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Die schöne Aussicht wirkte beruhigend auf ihn. Sie verschaffte ihm eine sonderbare Klarheit und Zufriedenheit. Wieder schaute er Konrad an und verstand plötzlich, warum er so war, wie er war. Er war voll und ganz in seiner Umgebung aufgegangen. Einzig mit Hilfe seiner Malerei konnte er sich öffnen und ein wenig von sich preisgeben.
    »Weißt du etwas über Vincents Bilder?«, fragte Thorvald.
    Konrad zog ein völlig platt gesessenes Päckchen Tabak aus der Gesäßtasche seiner farbverschmierten Jeans.
    »Was willst du wissen?«
    »Nichts Besonderes. Ich habe nur seine Sammlung gesehen und   … ich muss schon sagen. Er hat ein unschätzbares Vermögen an den Wänden hängen. So etwas spricht sich doch herum.«
    »Natürlich. Du denkst, das nächste Mal wird bei Vincent eingebrochen?«, fragte Konrad.
    »Er ist gut versichert, nehme ich an. Er hat einen wunderschönenRuisdael an der Wand hängen. Wie kommt man überhaupt an solche Bilder?«
    Konrad ließ sich Zeit, bevor er antwortete. Thorvald wusste, dass man für ihn etwas mehr Geduld aufbringen musste als für andere Menschen. Konrad war jemand, der die Aura eines tibetischen Mönches hatte. Auf Thorvald jedoch schien die Ruhe nicht übergegangen zu sein. Wie von einer Ratte

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