Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
gebissen, sprang er plötzlich auf.
»Verdammt!«, schrie er und stürzte bereits den steilen Pfad hinab.
Von weit her war noch »Olga, ich liebe dich!« zu hören, dann war alles still wie zuvor.
Olga und Konrad sahen einander ratlos an, als sich Olgas Telefon meldete.
»Ich habe die Proben vergessen und ich weiß genau, dass Reuther gerade dabei ist, mich zu verfluchen.«
Thorvalds atemlose, gehetzte Stimme schrillte so laut aus dem Handy, dass Konrad mithören konnte. Olga musste lachen und selbst Konrad konnte ein müdes Lächeln nicht unterdrücken.
Als Olga am Haus ihres Vaters eintraf, stand die Haustür offen. Roman kam auf sie zu und gab ihr einen Kuss. Olga wusste, dass sie ohne Umschweife zur Sache kommen wollte.
»Papa, ich muss mir dir reden.« Sie nahm ihren Vater am Arm und zog ihn auf die Terrasse.
»Schieß los. Was hast du auf dem Herzen?« Roman war sichtlich erfreut, dass Olga seinen Rat brauchte.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Die Ereignisse der vergangenen Tage hatten in ihrem Kopf ein Chaos angerichtet und ergaben keinen Zusammenhang mehr.
»Ich muss mit dir über Vincent reden.«
Romans rechte Augenbraue zuckte. »Was gibt es da zu reden?« Er trat an die Mauer und sah in den Garten. »Wenn es nicht bald regnet, ist alles hier zum Teufel.«
»Papa … weißt du irgendetwas über Vincents Bilder?«
Er sah Olga erstaunt an. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.
»Ich meine … weißt du, wo er seine Bilder herhat?«
Er zuckte mit den Schultern. »Von Kunstauktionen, aus dem Katalog, was weiß ich. Warum interessiert dich das?«
Olga verdrehte die Augen. Sie wusste gar nicht, wo sie ansetzen sollte. Es war schon schwierig bis unmöglich, mit ihm über sein Verhältnis zu Vincent zu reden. Raubkunst der Nationalsozialisten machte das Gespräch nicht leichter.
»Warst du bei ihm?«
»Ja, und ich habe seine Gemäldesammlung gesehen, die sich noch einmal beträchtlich vergrößert hat.«
»Dein Großvater hat viel Energie und Geld hineingesteckt. Sein Leben lang.«
›Dein Großvater!‹, dachte Olga. Er würde nie ›Mein Vater!‹ sagen.
»Wenn du etwas über seine Bilder wissen willst, musst du ihn schon selbst fragen, da kann ich dir wirklich nicht helfen.«
Vielleicht wusste er tatsächlich nichts. Wieder eine Sackgasse.
»Weißt du wenigstens etwas über den Einbruch in Konrads Atelier? Ungefähr vor einem Monat?«
»Oh ja, das hat sich natürlich herumgesprochen. Ich wusste gar nicht, wie wütend Konrad werden kann. So habe ich ihn noch nie erlebt.«
»Er hat vermutlich lange an den Arbeiten gesessen«, erwiderte Olga.
»Arbeiten! Ja. Alles Fälschungen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll.«
»Alle hier haben doch einen Thalbach an der Wand, denke ich. Du nicht?« Olga sah sich um.
»Doch, natürlich. Aber die
echten
. Seine Jagdbilder. Du kennst sie doch. Die Bilder im Flur.« Roman deutete mit dem Kopf in Richtung der Bilder.
»Keinen Picasso?«
»Nur als Kunstdruck. Geschenke von Pharmaunternehmen. Worauf willst du hinaus?«
»Wir haben Benno das letzte Mal bei Vincent gesehen, als er bei unserem kleinen Konzert war. Seitdem ist er spurlos verschwunden.«
Roman sah sie ernst an.
18
Olga kam sich vor wie eine Geistesgestörte, die in dem weitläufigen Park eines Privatsanatoriums umherwandelte. Mit starrem, nach vorne gerichtetem Blick, immer dieselben Wege, immer dieselben Ziele. Der kleine verträumte Pavillon am See, das Badehaus, die Orangerie. Und wieder zurück, ohne jedoch eine dieser Stationen betreten zu haben, weil der Pavillon keinen Eingang hatte, das Badehaus baufällig und die Orangerie verschlossen war. Also ging sie wieder den langen, hellen Gang mit dem dicken Teppich und den weißen Kugelglaslampen entlang, zurück in ihr Zimmer. Tagaus, tagein.
Mittlerweile hatte sie den eigentlichen Grund ihres Aufenthalts in der Hütte vergessen. Jeder einzelne Tag hatte sich in sinnlosen, enervierenden Unternehmungen verloren. Hatte sich in zermürbendem Warten aufgelöst. Jetzt lief sie wieder durch den Wald, kam von irgendwoher, ging irgendwohin, mit dem schalen Gefühl, wieder nichts erreicht zu haben. Wütend stapfte sie den schmalen Weg zur Hütte hinauf. Was sie dort wollte, wusste sie noch nicht. Es musste schon spät sein. Sie hatte kein Zeitgefühl mehr, wie das immer geschah, wenn sie keiner regelmäßigen Beschäftigung nachging.
Als sie auf die Veranda trat, blieb sie ruckartig stehen.
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