Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
und Robert lief sofort zu Thorvald und half ihm, Benno auf den Boden zu legen. Dann nahmen sie ihn zu zweit und trugen ihn mit schnellen Schritten durch den Wald. Romans Haus war nicht mehr weit.
Roman hatte seine Notfalltasche geholt, doch bei dem Anblick des Schwerverletzten schüttelte er den Kopf. »Er muss ins Krankenhaus. Sofort! Olga, ruf den Notarzt!«
Bennos Kleidung war durchtränkt von Blut, sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit geschwollen und blutverschmiert. Er war kaum noch zu erkennen.
»Du weißt, dass er gesucht wird«, sagte Thorvald, der fast genauso schlimm aussah wie Benno.
»Lebend im Gefängnis oder frei auf dem Friedhof.« Roman sah Thorvald und Robert, der schweigend mit verschränkten Armen an der Tür stand, herausfordernd an. »Was würde Benno bevorzugen?«
Thorvald starrte auf seinen bewusstlosen Freund.
Roman legte seine Hand auf Thorvalds Arm. »Bennos Unschuld wird sich erweisen, dann ist er bald wieder draußen.
Lebend
draußen.«
Er wandte sich wieder Benno zu. »Das hier war kein Unfall. Im Krankenhaus ist er sicher. Ich kann das sonst nicht verantworten.«
Er beugte sich zu Benno hinunter und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Halt durch, Junge«, flüsterte er. »Du musst uns doch sagen, wer das war. Nur so können wir Hanna helfen.«
Roman setzte sich neben Benno auf den Boden und streichelte seine Stirn. Sein Blick verlor sich in der Ferne.
Olga hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet. Roman hatte denselben Ausdruck in den Augen, der Olga damals so eine Angst gemacht hatte. Damals, als Ruben gestorben war.
Das warme Wasser lief über seinen Kopf und spülte einen Teil der Verzweiflung zusammen mit dem roten Schaum in den Abfluss. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser an Thorvalds Füßen wieder klar war. Er duschte ewig, er konnte gar nicht mehr aufhören. Er ließ das Wasser in den Mund laufen und wiegte den Kopf hin und her, um den letzten Schaum aus dem Haar und das verkrustete Blut aus seinem Gesicht zu spülen. Schon mehrmals hatte er überlegt, sich die Haare ganz kurz zu schneiden, schon allein wegen der Hitze. Das Gefühl feuchter Strähnen, die im Nacken festklebten, wurde allmählich unerträglich. Doch der Gedanke an die Premiere hatte ihn davon abgehalten.
Thorvald seufzte laut und drehte das Wasser noch heißer, so dass weiße Nebelschwaden aufstiegen. Am Abend sollte Premiere sein. Es war keine große Herausforderung für ihn, und die Rolle war nicht schwer, aber er war noch nie so wenig bei der Sache gewesen, noch nie so unbeteiligt. Er hatte nicht die geringste Lust, heute Abend auf der Bühne zu stehen, und dann auch noch Wagners Erik, der um die Liebe seiner Angebeteten kämpfte und am Ende verlor. Das machte ihm Angst. Diese Lustlosigkeit,mit der er sich nachher ins Opernhaus schleppen würde. Das war noch nie da gewesen.
Und er hatte Angst, den Kampf zu verlieren, den sie gegen einen unbekannten Gegner im Wald führten. Benno zu verlieren, vielleicht auch Olga und Roman. Eine nie gekannte Angst überfiel ihn, entzog ihm alle Kraft. Außerdem machte er sich langsam Sorgen um seine Stimme. Die Ereignisse der letzten Tage, der Schlafentzug, waren eine Belastung, die der Stimme schaden konnte. Er musste sie schonen. Er musste schlafen.
Die Schramme auf seiner Backe brannte wie Feuer. Nur in das große Badetuch eingewickelt verließ er das Dampfbad und setzte sich neben Olga auf das weiße Ledersofa. Ihm gegenüber hing Roman in dem großen Sessel und starrte in sein Whiskeyglas.
»Willst du etwas trinken?«, fragte Roman mit gedämpfter Stimme, um Olga nicht zu wecken, die, nachdem sie geduscht hatte, auf dem Sofa eingeschlafen war.
»Ich könnte mir jetzt die ganze Flasche reinziehen, und wenn ich so ein Bedürfnis habe, dann lasse ich es lieber ganz.«
»Du musst schlafen.« Roman sah auf seine Uhr. »Es ist gleich vier.«
»Wird Benno überleben?«
»Ich weiß es nicht, Thorvald.« Mit einem Zug trank er das Glas leer. »Ich hol dir was zum Anziehen. Ich muss ins Bett.« Roman stand auf und sagte im Hinausgehen: »Vorher schaue ich mir noch deine Wange an. Du willst doch später schön sein.«
19
»Olga?«
»Ja?«
»Wie weit ist der Himmel weg?«
Olga schaute lange in die Wolken.
»Manchmal ist er ganz nah und dann wieder so weit weg, dass man glaubt, es gibt ihn gar nicht.«
Das kleine Mädchen schaute sie mit ernsten fragenden Augen an. Marfa saß im Schneidersitz auf einer Decke im Gras vor der Hütte, ihre Puppe und
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