Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
ein kleiner Teddybär saßen auf einer Extradecke und hatten kleine Schalen mit Blättern und Popcorn vor sich. Ihre langen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie trug ein dunkelblaues Kleidchen mit bunter Stickerei auf der Brust.
»Meinst du, dass Gott es hört, wenn ich ganz leise spreche? So wie jetzt?« Sie bewegte ihre Lippen, ohne dass ein Laut herauskam.
»Nein!«, lachte Olga.
»Gott weiß, dass ein Mädchen wie du meistens lieb ist und nichts Schlimmes tut. Deshalb lässt er dich in Ruhe.«
Wieder dachte Marfa nach. »Und wenn ich lüge?«
»Gott wird dafür sorgen, dass du dich schlecht fühlst, wenn du lügst.«
»Glaubst du, dass es Gott gibt?«
Olga schaute das Mädchen an. Was sollte sie ihr jetzt sagen? Offenbar beschäftigte sich Ines‘ fünfjährige Tochter gerade intensiv mit dem Thema und sie wollte dieKleine nicht beeinflussen, egal in welche Richtung. Solche elementaren Fragen musste sie den Eltern überlassen. Sie hätte sie ohnehin nicht beantworten können. Und wenn, dann wäre die Antwort immer unbefriedigend gewesen. Zum Glück meldete sich Olgas Handy.
»Benno ist immer noch nicht aufgewacht.«
Die Ereignisse der vergangenen Nacht lagen wie Blei auf Olgas Gemüt und Thorvalds Stimme zeigte deutliche Spuren von Erschöpfung und Sorge. Gleich nachdem Thorvald aufgestanden war, hatte er sich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht.
Olga schluckte. »Kann man sagen, wann er aufwacht?«
»Nein. Wir können nur warten.«
»Komm zurück, Thorvald. Du musst schlafen. Denk an deine Stimme.«
»Ich bleibe. Ich kann mich hier irgendwo hinlegen«, sagte Thorvald schroff und beendete das Gespräch.
»Schläft dein Freund immer noch?« Marfa hatte Olga während des Gesprächs genau beobachtet.
»Ja. Er schläft sich gesund.«
Olga konnte ihre Tränen nicht unterdrücken. Deshalb stand sie auf und ging in die Hütte. Sie lehnte sich an die Küchenspüle und ließ die Tränen laufen. Sie wusste, wie schlimm das sein konnte, wenn man nicht weinte. Dann wischte sie die Tränen weg und suchte die Kekse, die Thorvald mitgebracht hatte.
Als Olga wieder aus der Hütte trat und Marfa die Kekse auf die Decke gelegt hatte, hörte sie eine andere Kinderstimme. Ines war mit ihrem Sohn an den Bach gegangen, weil Viktor ein kleines Floß aus Baumrinde dort fahren lassen wollte. Den kleinen Henry hatte Ines bei ihren Eltern in der Stadt gelassen. Viktor kam übermütig in den Garten gerannt und ließ sich auf die Puppendeckefallen, um sich eine Hand voll Popcorn zu stibitzen. Marfa sah ihn wütend an, und Victor sprang auf und verschwand blitzschnell mit seiner Beute hinter der Hütte.
»Viktor!«, rief Ines. »Ich möchte, dass ihr beide hier vor der Hütte bleibt. Ich möchte euch sehen können.«
»Ich bin mir fast sicher, dass der Hund nur im Dunkeln auftaucht«, sagte Olga. »Aber trotzdem, bleibt nicht zu lange hier draußen.«
Ines hatte sich neben Olga auf die Verandatreppe fallen lassen und suchte in ihrer Tasche nach den Zigaretten. »Ich habe das hier«, sagte sie beiläufig und zeigte Olga eine kleine Flasche Spray. »Das hat jeder Briefträger bei sich. Solltest du dir auch zulegen.«
Sie steckte sich eine Zigarette an und schaute in den Himmel. Der Regen war bereits in der vergangenen Nacht mit dem Gewitter wieder abgezogen und hatte die feuchtheiße Luft mitgenommen. Es war bewölkt und deutlich kühler. Es herrschte wieder das nichtssagende, dumpfe Alltagswetter, das an den meisten Tagen in dieser Gegend festhing und gute Laute und Inspiration unter seinem dichten Tuch erstickte.
»Was ist mit Benno?«, fragte Ines, nachdem sie den Rauch tief inhaliert und in die Luft geblasen hatte. »Gibt es etwas Neues?«
Olga schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts. Sein Vater ist bei ihm. Und Thorvald auch.«
»Wird Thorvald heute Abend singen?«
Olga nickte.
Die Frauen saßen schweigend auf der Treppe und schauten in das grüne Dickicht. Sie hatten sich so an die leuchtenden Farben der von der Sonne beschienenen Natur gewöhnt, dass bei dem jetzt herrschenden Zwielicht alles trostlos und vergessen wirkte. Der heftige Wind derletzten Nacht hatte die Bäume durchgeschüttelt und die Wiese vor der Hütte war übersät mit abgebrochenen Ästen und Blättern.
»Willst du einen Kaffee?«, fragte Olga schließlich.
»Ja. Stark und schwarz.«
Olga ging hinein, um Wasser aufzusetzen. Die Angst hatte sie jetzt fest im Griff. Wieder fiel ihr Kirschbaum ein. Was wusste er? Olga
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