Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
Vom Netzwerk:
Thorvald vernahm jetzt das geräuschvolle Atmen und hörte mit Entsetzen das Knurren.
    »Das ist er wieder.« Olga flüsterte so leise sie konnte. Das Geräusch war verstummt.
    Sie sahen sich an, dann rannten sie los.
    Es war der Traum, den Olga immer wieder träumte. Viel zu schnell rannte sie. Viel zu schnell den schmalen Weg entlang. Bergab. Gleich würde sie fallen. Und immer diese Angst, sich einen Ast ins Auge zu stoßen. Aber siekonnte nicht stehen bleiben. Sie war eine gute Läuferin. Eine schnelle noch dazu. Und sie hatte Ausdauer. Sie rauchte schon lange nicht mehr. Ihre Lungen arbeiteten gut. Keine Seitenstiche. Der Ausläufer eines Brombeerstrauches wickelte sich um ihren Fuß, als hätte er auf sie gewartet, um ihr ein Bein zu stellen. Sie riss ihn ab.
    Die Wunde brannte und ließ sie noch schneller laufen. Hinter sich hörte sie Thorvald. Er war ihr dicht auf den Fersen. War es überhaupt Thorvald? Sie konnte sich nicht umdrehen, dann würde sie fallen. Etwas schob und zog sie gleichermaßen, dass sie durch den Wald flog, wie in dem Traum. Jetzt kam der Berg. Dahinter war das Haus. Den Berg noch. Nur noch den Berg rauf.
    »Lauf!«, schrie er. »Lauf!«
    Das Schrillen der hellen Pfeife kam von weit her. Jemand packte sie an der Schulter. Olga fiel. Das Gesicht in den Boden gedrückt, blieb sie liegen, beide Hände über dem Kopf. Ihr einziger Schutz.
    »Ist ja gut.« Mit Mühe presste Thorvald die Silben heraus. Keuchend saß er auf dem Boden, die Knie angezogen, den Kopf in die Hände gestützt.
    Olga hatte sich langsam aufgerichtet. Sie war ganz steif vor Angst. »Wir können hier nicht bleiben. Wir müssen ins Haus. Ich trau der Ruhe nicht. Komm!«
    Einen Moment lang hätte sie am liebsten laut geschrien und vor Wut losgeheult. Aber Olga riss sich zusammen. Sie mussten weitergehen und das Gewehr ihres Vaters holen.
    Wortlos gingen sie das letzte Wegstück. Thorvald neben ihr. Schließlich tauchte Romans Haus dunkel und verlassen vor ihnen auf. Er schien nicht zu Hause zu sein. Olga schloss dankbar die Augen. Routiniert stieg sie über die Terrassenmauer und spürte erst jetzt, wie ihr Knöchelbrannte. Die Dornen hatten tiefe Risse verursacht, und Blut lief in ihren Schuh. Einen Augenblick blieben sie stehen und sahen einander an. Thorvald nahm Olga in die Arme, bis ihr Herzschlag sich wieder beruhigt hatte.
    Die Terrassentür war angelehnt, wie meistens. Als Olga Licht gemacht hatte, sah sie, dass auch Thorvald nicht ohne Blessuren davongekommen war. Er hatte eine tiefe, blutende Schramme quer über der linken Wange.
    »Oje«, sagte Olga. »Das wird deinem Regisseur nicht gefallen.«
    »So schlimm?«, fragte er und ging zu dem großen Flurspiegel. »Ach du Scheiße!«
    Er begutachtete die Wunde und verzog das Gesicht wie bei einer Nassrasur. Olga hatte in der Zwischenzeit aus dem Badezimmer ihres Vaters Desinfektionsspray und eine sterile Kompresse geholt.
    »Das soll die Maskenbildnerin einfach noch betonen«, sagte sie, während sie das Blut von seiner Wange tupfte. »Du spielst einen Jäger und keinen Salonlöwen. Das passt doch irgendwie.«
    Nachdem die weiße Kompresse in Thorvalds Gesicht leuchtete, machte Olga sich auf die Suche nach dem Schlüssel für den Waffenschrank. Der lag, wie sollte es anders sein, in dem kleinen Fach in der oberen Schreibtischschublade.
    »Wenn ich das Vieh vor den Lauf kriege, knall ich es sofort ab, glaub mir!«, sagte Thorvald. »Wo ist die Munition?«
    Olga zog eine schmale Schublade auf und suchte drei Patronen heraus, während Thorvald mit angelegtem Gewehr durch den Flur schritt und alle möglichen Skulpturen und Pflanzentöpfe mit dem Zielfernrohr anvisierte, bevor er mit einem hellen ›Klick‹ abdrückte.
    »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das Ding zuletzt in der Hand hatte.«
    Während Thorvald die Munition in das Patronenlager schob, verarztete Olga ihren Knöchel und stellte fest, dass sie auf dem Parkettboden Blutflecken hinterlassen hatte. Schnell wischte sie sie weg. Bevor sie den Schrank wieder verschloss, entdeckte sie das Nachtfernglas. Sie hängte es sich um den Hals, dann verließen sie das Haus.
    Thorvald ging stramm voraus, das Gewehr über die Schulter gehängt. Fest entschlossen, den Hund bei nächster Gelegenheit niederzustrecken. Sie bogen von dem Hauptweg in einen schmaleren, fast zugewachsenen Pfad ein, der direkt zur Kante des Steinbruchs führte.
    Thorvald ging jetzt ganz langsam voraus, hier musste sie irgendwo sein. Er konnte sich

Weitere Kostenlose Bücher