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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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Olga ab. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Benno lebte. Gott sei Dank!
    Arm in Arm gingen sie zurück zur Bar.
    Ines saß auf dem Barhocker, den Kopf in die rechte Hand gestützt, und zwinkerte Olga vergnügt zu.
    »Benno hat die reinste Odyssee hinter sich«, sagte Thorvald. »Er wusste nicht einmal, dass er gesucht wird.«
    »Was ist denn nun passiert?«, fragte Olga ungeduldig.
    »Er wurde zusammengeschlagen«, antwortete er. »Mehr weiß ich nicht.«
    »Und wo?«, fragte Olga.«
    »Als Benno wieder zu sich kam, lag er auf dem Plateau oberhalb des Steinbruchs, in der Nähe der Zwergenhöhle«, erklärte Thorvald. »Kennst du das noch? Ganz da oben?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Olga. »Da kommt man ja gar nicht mehr weg. Wenn man einmal auf dem Plateau gelandet ist, muss man entweder die Steilwand hoch oder den noch schlimmeren Abhang runter. Wie ist er nur dahin gekommen?«
    Olga kannte die Stelle gut und wusste, dass man nur auf diesen teuflischen Felsvorsprung gelangte, wenn man von oben herunterfiel. Und die Gefahr, ganz abzustürzen, war nicht eben gering.
    Thorvald hob die Schultern. »Er hat eins auf den Schädel gekriegt, ist gefallen und auf dem Plateau gelandet. Und wer auch immer das war, kam nicht mehr an Benno heran. Das hat ihm das Leben gerettet.«
    Olga konnte die absurde Geschichte immer noch nicht begreifen. »Aber wie ist er nur von dort weggekommen? Wir haben ihn doch oberhalb des Steinbruches gefunden.«
    »Er ist geklettert. Er hat sich nicht getraut zu schreien, aus Angst, dass sie ihn endgültig fertigmachen.«
    Olga sah Thorvald nachdenklich an.
    »Ich kenne Robert schon so lange   … Mag sein, dass er gefälschte Solinger Küchenmesser und Armbanduhren in Umlauf bringt. Aber jemanden so brutal zu misshandeln? Robert kennt Benno, seit der geboren wurde.« Olga holte tief Luft, während sie überlegte. »Warum hat Robertuns geholfen, Benno in die Hütte zu schaffen? Hat ihn sein schlechtes Gewissen geplagt? Hatte er etwas wiedergutzumachen?«
    »Keine Ahnung«, seufzte Thorvald und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Er stand von seinem Barhocker auf und blickte auf die Uhr. Es war kurz vor fünf.
    »Ich muss los. Ihr könnt ja noch ein bisschen Kalle Blomquist spielen. Tut mal was Sinnvolles.«
    »Warte mal«, rief Ines in diesem Moment und kam auf Thorvald zu. »Toi, toi, toi. Fährst du nach dem Auftritt nach Hause?«
    »Ich denke, ja.«
    »Und wann ist die Hochzeit? Hat Nyoko endlich einen passenden Termin gefunden?«
    »Im Oktober«, antwortete er, schon auf dem Weg zur Tür, und sah Olga für den Bruchteil einer Sekunde an. »Vielleicht.« Dann hob er den rechten Arm. »Gehabt euch wohl.«
    Olga stand neben ihrem Barhocker und sah ihm nach. Gedanken schossen wild durch ihren Kopf. Benno fiel ihr ein, der verzweifelt um Hanna gekämpft hatte. Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt. Sein Leben für das einer Frau, die er bereits verloren hatte.
    Sie hatte nicht gekämpft. Olga Ambach hatte einfach nur verloren. Alles Blut war aus ihrem Kopf gewichen. Sie wandte sich um und steuerte wie ein Pantoffeltierchen, das einem Lichtreiz ausgesetzt wurde, auf die helle Öffnung der Tür zu. Es hatte leicht zu regnen begonnen, Olga bemerkte es nicht.
    Sie wollte nur noch weg. Wo hatte sie ihre Reisetasche gelassen? Sie brauchte sie. Jetzt sofort.

20
    Vincent Ambach hatte sich die dunkelblaue Fliege mit den kleinen blassen Ovalen umgebunden und stand vor dem großen Spiegel in seinem Schlafzimmer, der ihn in ganzer Länge wiedergab. Es waren Jahre vergangen, seit er sie zum letzten Mal getragen hatte, und wahrscheinlich würde sie seinen dürren Hals heute zum letzten Mal zieren. Lebend. Es wäre möglich, dass sie genau diese auswählten, wenn er in seinem offenen, weiß ausgeschlagenen Sarg lag, die Hände gefaltet, endlich zufrieden, dem siechen Körper entwichen zu sein. Er verzog den Mund kaum sichtbar zu einem Lächeln.
    Lange betrachtete er sein Spiegelbild. Der Anzug war zu weit geworden, und er musste die Hose mit einem schmalen Gürtel über den spitzen Hüftknochen zusammenziehen. Auch die Anzugjacke hing an ihm wie an einem wackeligen Kleiderständer. Bedächtig knöpfte er die Anzugjacke zu und wandte sich vom Spiegel ab. Für einen Sekundenbruchteil bemerkte er noch seinen eigenen verächtlichen Blick.
    Er setzte sich auf sein Bett und zog die Schublade des Nachttisches auf. Sie war gefüllt mit Tranquilizern und Barbituraten jeglicher Art, die er über

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