Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Verzweiflung ab. Ihre Kräfte, die sie jetzt brauchte, um die Abreise anzutreten, kehrten zurück. Alles, was in den letzten Tagen geschehen war, seit sie den Weg hinauf in den Wald ihrer Kindheit gegangen war, war bereits Vergangenheit.
Olga schleuderte Thorvalds Blumenstrauß, den er ihr aus der Stadt mitgebracht hatte, in hohem Bogen in den Wald und machte sich auf den Weg. Noch einmal spürte sie das bohrende Gefühl des kalten Verrats in sich aufsteigen. Sie hatte sich die alte gelbe Regenjacke übergezogen, die einen großen Riss an der linken Schulter hatte. Wäre sie doch nie gekommen.
Endlich konnte sie nach Hause fahren. Benno war gerettet. Was die Polizei über ihre Abreise denken würde, war ihr mehr als gleichgültig.
Die ganze Zeit über hatte Thorvald kein einziges Wort darüber verloren!, brannte es noch einmal in ihr auf. Nyoko wartet in Kopenhagen auf ihn! Und er beklagt sich über die immer länger werdenden Abstände ihrer Treffen!
Olga saß allein auf einem der verschmierten und von Zigarettenkippen angesengten Sitze unter dem Dach der Bushaltestelle und starrte auf die regennasse Straße. In der Ferne tauchte ein Auto auf und fuhr langsam und scheinbar lautlos auf die Bushaltestelle zu. Am Steuer des roten Porsche saß ein dunkelhaariger Mann, der sie durch die beschlagene Scheibe ansah. Er rollte langsam an ihr vorbei und Olga hatte den Eindruck zu sehen, wie Ruben das Fenster herunterkurbelte und sie fragend anblickte.
Olga rührte sich nicht. Der Wagen fuhr langsam weiter, bis Olga nur noch die roten Bremslichter sah. Dann beschleunigte der Fahrer und bog nach rechts auf die Hauptstraße ab.
Einige der Musiker saßen bereits im Orchestergraben und spielten noch einmal schwierige Passagen oder stimmten ein letztes Mal ihre Instrumente. Es waren erst wenige Zuschauer im Saal. Einige standen in den oberen Rängen und genossen die prickelnde Atmosphäre, die kurz vor jeder Premiere in dem Raum schwirrte. Die Kakofonie aus dem Orchestergraben, das gedämpfte Gerede der langsam hereinströmenden Menschen, die surrende Anspannung der Darsteller, die durch den geschlossenen Vorhang zu strömen schien, all dies barg freudige Erwartung.
Vincent Ambach und Gudrun Himmelreich saßen im Parkett in der zweiten Reihe, genau in der Mitte. Frau Himmelreich hatte auf einer frühzeitigen Abfahrt bestanden. Sie wollte die zeitraubende Suche nach einem Parkplatz vermeiden, und außerdem gehörte sie zu den Menschen, die die Zeit vor der Aufführung genießen wollten. Mit einem Sekt, einem kleinen Imbiss.
Doch dieser Abend war anders. Sie hatten kaum miteinandergesprochen. Die Sache mit dem Bild hatte sie erschüttert. Sie war aufgesprungen, als die lodernden Flammen das Gemälde mit einem lauten Knistern auffraßen. Sie wollte es aus dem Feuer holen, doch sie konnte nur noch mitansehen, wie es sich in rasender Eile auflöste und zerfiel. Starr vor Entsetzen stand sie vor dem Kamin. Als sie sich zu Vincent Ambach umdrehte, hatte dieser den Salon bereits verlassen.
»Es hat Konrads Jungen beinahe das Leben gekostet.« Ohne den Kopf zu wenden, hatte Vincent Ambach diesen einen Satz gesagt, als sie im Auto vor der roten Ampel standen. Die Scheibenwischer waren quietschend über das nasse Glas gezuckt. Gudrun Himmelreich hatte nicht geantwortet.
Vincent Ambach hatte aus dem Seitenfenster auf die Menschen geblickt, die mit dunklen Schirmen an der Fußgängerampel standen. Autos hatten zu hupen begonnen und waren an ihnen vorbeimanövriert. Sie hatten eine ganze Grünphase verpasst.
Olga stand an der Haltestelle in mittlerweile strömendem Regen, ihre Reisetasche über der rechten Schulter. Das Wasser lief durch die undichte Stelle des Regenmantels und verteilte sich langsam auf ihrem Rücken. Der Bus kam und zwei Leute stiegen aus. Sie gingen schnellen Schrittes an Olga vorbei, ohne sie zu beachten. Sie sah den Busfahrer an, der den Motor abgestellt hatte und eine Zeitung hervorholte. Auch wenn Olga noch die Absicht gehabt hätte, einzusteigen, er hätte die Tür erst geöffnet, wenn seine Pause beendet war. Er ließ sie im Regen stehen.
Langsam ging sie los, die schmale Straße entlang, und bog nach links ab. Hinter Julianes Haus stellte sie sichdicht an die Hauswand und schaute in den tiefen Abgrund. Der Fluss war dabei, wieder zu einem ernst zu nehmenden Gewässer anzuschwellen.
Sicher war auf dem Klassentreffen über Thorvald und Nyoko geredet worden. Ines hatte ja auch davon gewusst. Warum
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