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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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jemand sehen und sich Gedanken über sein Aussehen machen würde.
    Vielleicht ist das die gerechte Strafe für seinen Egoismus. Dafür, dass er nicht in der Lage war, Anna das zu geben, was sie braucht, und genauso für sie da zu sein, wie sie in all den Jahren für ihn da war. Verliert er Lukas hier im Wald, verliert er sie gleich mit.
    «Blödmann, Dummkopf, verdammter halbblinder Idiot», faucht er. Wenn alles gutgeht, und es
muss
gutgehen, wird er seine Brille mit Stolz tragen und sich nie wieder für jemanden verstellen, schwört er sich. Nie wieder wird er durch die Stadt flanieren und dabei das Bewusstsein, eben noch zu Schwedens ‹Sexiest Man› gekürt worden zu sein, vor sich hertragen. Nie wieder wird er sich selbst googeln, geschmeichelt von der idiotischen Klatschpresse oder von dem Geschmiere aufgeregter Schulmädchen, die ihn in der Kneipe angesprochen haben und hinterher in ihrem Blog damit angeben. Boah, ist der heiß! Wie der wohl im Bett ist? Schluss! Er darf sich nicht länger wie ein bescheuerter ichbezogener Blödmann benehmen. Er will treu sein, und nicht nur körperlich. Das ist er ja immer gewesen. Sondern auch mental, mit Herz und Verstand.
    «Entschuldige! Anna! Verzeih. Lass mich diese verfluchte Hütte finden, sie muss doch dort unten irgendwo sein. Lukas, ich will dich nicht verlieren. Mein kleiner Schatz. Mein Liebling. Bitte!»
     
    Da entdeckt er etwas, das sich abhebt. Etwas bewegt sich da unten. Etwas Dunkles. Ein Elch? Oder ein Hund? Er blinzelt. O Gott – der Bär! Die Gestalt verschwindet zwischen den Bäumen, dann taucht sie wieder auf. Sie streckt eine Tatze aus, hält etwas Rotes darin, und dann erkennt er, dass es ein Mann ist. Er will schon rufen, hält aber inne. Etwas an der Art, wie er sich bewegt, ist merkwürdig. Er bückt sich irgendwie, bevor er sich langsam weiterbewegt. Was macht er denn da?
    Sicher ist das nur ein Jäger, sagt er sich. Sicher hat es irgendetwas mit der Jagd zu tun. Aber dann kennt er sich hier bestimmt aus und weiß, wo die Hütte ist. Bergab ist das Terrain unübersichtlich, es könnte schwierig werden, die Richtung zu halten. Aber Robert orientiert sich am Horizont und sieht, wie die Sonne über den Hügelkamm steigt. Wenn er geradewegs darauf zugeht und der Mann dort bleibt, wo er jetzt ist, wird er ihn schon finden.

[zur Inhaltsübersicht]
    36
    Lukas presst die Augen zusammen, kann aber nicht wieder einschlafen. Es stinkt jetzt noch schlimmer als eben. Er bleibt liegen und lauscht auf das Gemurmel und das Geraschel da draußen, das überhaupt nicht klingt wie Papa. Aber wenn es nicht Papa ist, wer ist es dann? Es muss Papa sein. Hier im Wald ist ja sonst niemand.
    Jetzt hört er, wie sich die Schritte entfernen. Sie werden leiser. Verschwindet Papa jetzt wieder? Er darf nicht gehen. Papa darf nicht gehen. Lukas bleibt nichts anderes übrig, als sich nach draußen zu wagen. Es gibt ja keinen Darth Vader. Keine Space-Soldaten oder Green Goblins. Es gibt keinen Todesstern. Das weiß er. Er klemmt das Kuschelkaninchen unter den Arm und krabbelt aus dem Bett, dann schleicht er durch die Stube, schiebt vorsichtig die Tür auf und schaut hinaus. Da ist er! Unten in der Senke, beim Brunnen. Das ist
sein
Rücken, auch wenn er heute etwas anderes anhat. Eine schwarze Jacke und eine Mütze. Er ist beschäftigt, steht von ihm abgewandt. Mit einer roten Kanne kippt er Wasser auf den Deckel des Brunnens. Wie komisch, dass er Wasser in den Brunnen schüttet.
    «Papa? Papa!»
    Das ist nicht Papa, sondern ein viel älterer Mann, der herumfährt und etwas aus der Jacke zieht – eine Knarre! Lukas bleibt bewegungslos stehen, aber er spürt, dass er zittert. Will der Mann schießen? Nein, er zielt ja nicht einmal, er steht nur mit offenem Mund da, und dann lässt er die Hand mit dem Revolver sinken.
    Und obwohl der Mann nicht Papa ist, sieht Lukas, dass er Papa ziemlich ähnlich sieht, und er denkt, dass er vielleicht doch Papa ist, nur älter. Papa ist über Nacht alt geworden, wie in diesem einen Indiana-Jones-Film, wo ein Mann – der Bösewicht – aus einer Tasse getrunken hat, aus der er nicht trinken durfte, und dann ist er superschnell älter geworden, und die Haut ist verrunzelt, geschrumpelt, und dann ist sie abgegangen und schließlich von ihm abgefallen, und nur seine Augen sind wie ein paar eklige starrende Kugeln übriggeblieben, und der Mund mit den Zähnen öffnete sich, und die Lippen fielen ab, und dann hatte er keine Lippen mehr, nur noch so

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