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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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doch so geliebt. Hat im Frühling die Tulpen und die Narzissen bewundert. Hat den kleinen Rasen gehätschelt und die knallroten Kletterrosen. Konnte stundenlang die Vögel beobachten, die ein Nest in der Birke bauten, und hat die Vogelküken vor der Nachbarskatze beschützt, als sie auf dem Rasen herumhüpften. Außerdem hat sie immer damit geprahlt, sie hätte die schönste Potentilla in der ganzen Nachbarschaft. Es ist noch keine Woche her, dass sie darüber geschimpft hat, wie die neuen Hausbesitzer den Garten verkommen lassen.
    «Garten?», sagt sie jetzt, als hätte sie ihn vergessen. «Ach, der hat doch viel zu viel Arbeit gemacht.»
    «Fehlt er dir nicht?»
    «Nicht im Geringsten.»
    «Wirklich?», sagt Evelyn kalt. «Es gibt nichts Herrlicheres als einen Garten. Ich könnte mich nie davon trennen. Der Flieder, die Rhododendren, der Rhabarber und die Sommerblumen …»
    «Pah», sagt Aslaug, und man hört ihr an, dass sie gekränkt ist. «Wer braucht denn einen Garten, wenn man einen Balkon hat? Hast du meine Blumenkästen nicht gesehen?»
    «Mehr als einmal.»
    «Ich habe Stiefmütterchen, Margeriten und sogar Dahlien.»
    «Hab ich gesehen!»
    Aslaug holt Luft. «Du bist doch viel zu klapprig, um damit fertigzuwerden», sagt sie und deutet mit einem Kopfnicken auf das Unkraut draußen.
    Der Punkt geht an Aslaug.
    Denn es stimmt ja, sie schafft es nicht mehr, sich über die Beete zu beugen. Schafft das Jäten oder Pflanzen nicht mehr. Im Herbst bleibt das Laub liegen, die Hecke schneidet sie nicht mehr, und das Unkraut wuchert, wie es will. Der Giersch ist wenigstens schön grün. Und mit dem Löwenzahn hat sie schließlich ihren Frieden geschlossen. Er blüht ja gelb und ist auf seine Art ganz hübsch.
    «Und dann die Schnecken», fährt Aslaug fort.
    Die Schnecken waren im letzten Sommer, als Aslaug noch nebenan wohnte, ihr großes gemeinsames Thema. Kein Tag verging, an dem sie nicht über verschiedene Methoden diskutierten, wie man sie fangen und umbringen könnte. Jeden Abend zählten sie durch, wie viele Schnecken sie zur Strecke gebracht hatten. Es war ein gemeinsamer Krieg gegen einen gemeinsamen Feind.
    Jetzt ist Evelyn allein mit ihnen, den großen braunen Spanischen Wegschnecken, die die wenigen verbliebenen Farbtupfer in dem kleinen Garten in sich hineinschlingen. Sie zwängen sich sogar in die Blumentöpfe und fressen die kostbaren Stiefmütterchen, die sie aus dem Laden hierhergeschleppt hat. Manchmal sieht sie zwanzig Stück am Tag, aber dass sie eine von ihnen erwischt, ist die Ausnahme. Es erfordert eine Menge konzentriertes und umständliches Gefummel mit dem Greifstock, um eins von diesen schleimigen Biestern zu erwischen, und dann macht sie ihnen den Garaus, indem sie sie mit der Gartenschere durchschneidet, sodass die grünbraunen Eingeweide herausquellen. Sie muss sich dafür auf den Plastikhocker setzen, und der letzte Teil – das Durchschneiden – führt meistens dazu, dass Schneckenmatsch auf ihrem Kleid landet. Die andere Methode ist einfacher: Man wirft sie in einen Plastikeimer, dessen Boden mit Salz bedeckt ist. Allerdings lässt sich kaum sagen, wann der Tod eintritt. Durch das Salz kringeln sich die Schnecken zusammen. Danach kommt zischend ein knallgelber Schaum aus ihnen heraus, bevor sie sich aufzulösen scheinen. Trotzdem gibt es auch bei dieser Methode ein Problem: den schleimigen Abfall aus dem Eimer zu bekommen.
    «Wer stört sich denn an ein paar Schnecken?», murmelt sie.
    «Nein, nein. Vielleicht gibt es ja nicht mehr so viele?»
    «Die sind so gut wie ausgerottet, das kann ich dir sagen!»
    «Dann ist es ja gut», sagt Aslaug und fährt fort: «Ach herrje, jetzt hätte ich es fast vergessen – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!»
    Sie holt einen eingewickelten Blumenstrauß aus der Einkaufstasche, die an ihrem Rollator hängt.
    «Danke», schnarrt Evelyn, reißt die Blumen an sich und schlurft in die Küche.
    «Ich darf doch wohl reinkommen?», ruft Aslaug von draußen.
    Evelyn seufzt. Warum kann sie sie nicht in Ruhe lassen?
    «Ich komme jetzt!»
    Evelyn wickelt die Blumen aus. Ranunkeln. Hellrote, gelbe, rot-violette, orangefarbene. Ein richtiges Bouquet. Sie hat sich die Sträuße unten bei Mester Grønn oft angesehen, fand aber immer, dass sie sich die nicht leisten konnte. Der muss mindestens hundertfünfzig Kronen gekostet haben. Evelyn nimmt eine Vase aus dem Schrank, stellt die Blumen hinein.
    Aslaug kommt in die Küche.
    «Sind die nicht schön!»,

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