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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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Rechenschaft fordert für das Blut seiner Mutter!«
    Während diese Stimme, die sich mit dem Brausen des Sturzbaches vermischte, in den Ohren Medianas wie eine schreckliche Vorbedeutung klang; während ihn – vielleicht zum erstenmal in seinem Leben – der Schrecken auf seinen Platz bannte, zog der ungestüme junge Mann sein Messer, und indem er sein Pferd dessen Spitze fühlen ließ, trieb er es mit einem neuen, wütenden Anlauf vorwärts. Diesmal sprang das Tier wie ein Blitz über den Abgrund und fiel auf das entgegengesetzte Ufer.
    Aber ein Hinterfuß glitt auf dem feuchten Abhang aus. Einen Augenblick – einen einzigen Augenblick – kämpfte das Pferd, das Gleichgewicht wiederzugewinnen; der Fels knirschte unter seinen Hufen; aber eine unüberwindliche Macht brach die Kraft seiner Sprunggelenke, sein Auge wurde dunkel, ein ängstliches Wiehern ließ sich vernehmen, und seinen Reiter mit hinabreißend, verschwand es mit ihm.
    Beim Rauschen des Wassers, das bis auf das Ufer wallte, entfuhr ein herzzerreißender Schrei der breiten Brust des Kanadiers; ein Schrei des Triumphes erscholl vom entgegengesetzten Ufer; aber beide wurden bald übertönt von der grollenden Stimme des Waldstromes, der sich über seiner zweifachen Beute schloß.

27 Die Steppe aus der Vogelperspektive
    Ungefähr vierzehn Tage nach dem letzten von uns erzählten Ereignis – das heißt, nach dem Sturz und dem Verschwinden Tiburcio Arellanos' oder vielmehr Fabians von Mediana im Salto de Agua – fanden andere Szenen in einer Gegend der Steppen statt, die sich vom Präsidio von Tubac bis an die mexikanische Grenze ausdehnen. Bevor wir jedoch die handelnden Personen wieder aufsuchen, wollen wir den Schauplatz beschreiben, auf dem sie uns wieder begegnen werden.
    Die weiten Ebenen, die Mexiko von den Vereinigten Staaten trennen, sind nur durch die ziemlich schwankenden Berichte der Jäger und der Goldsucher in einem Teil des Landes bekannt, der durch den Rio Gila und seine Nebenflüsse gerade am wenigsten bewässert ist. Dieser Fluß, dessen Quelle in den fernen nördlichen Bergen liegt, ist der einzige, der unter verschiedenen Namen einen unermeßlich ausgedehnten, sandigen und baumlosen Landstrich durchströmt, dessen dürre Einförmigkeit nur durch die von den Regenwassern ausgehöhlten Schluchten unterbrochen wird; aber diese Gewässer verwüsten, ohne zu befruchten.
    Der steinige Boden zeigt dem Reisenden nur die abschüssigen Schluchten – das Bett ausgetrockneter Gießbäche –, die seinen Marsch hemmen, ohne irgendeine Nahrung für ihn oder sein Pferd zu bieten. Der Damhirsch und der Büffel fliehen diese Einöden, wo höchstens ein spärliches Gras zu wachsen scheint, das schon vertrocknet, ehe es nur ausgewachsen ist. Selbst die Indianer durchstreifen sie nur, wenn der sengende Wind, der einen Teil des Jahres in diesen Steppen weht, vorüber ist.
    Wir führen den Leser an einen Ort, der etwa sechzig Meilen vom Presidio von Tubac und etwa hundert Meilen von der Grenze der Vereinigten Staaten entfernt ist. Die Sonne neigt sich nach Westen und sendet schon schrägere Strahlen herab. Das ist die Stunde, wo der Wind, obgleich er immer noch durch die Ausstrahlungen des glühenden Sandes erhitzt ist, doch nicht mehr aus der Öffnung eines Schmelzofens herauszuwehen scheint. Es mochte etwa vier Uhr nachmittags sein. Leichte, weiße Wolken, die anfingen, eine rosige Färbung zu bekommen, bewiesen, daß die Sonne zwei Drittel ihres Laufes vollendet hatte.
    Mitten am unermeßlichen Himmel, dessen dunkler Azur hier und da hinter Wolkengruppen verschwand, schwebte ein Adler bewegungslos über der Steppe. Er war hier der einzige Bewohner dieses Luftmeeres. Von dem erhabenen Punkt aus, wo der König der Vögel sich majestätisch wiegte, konnte sein durchdringendes Auge menschliche Geschöpfe auf den Ebenen der Erde zerstreut erblicken; die einen bildeten eine Truppe, die anderen waren ziemlich weit davon entfernt, so daß sie nur ihm allein sichtbar waren und einander nicht sehen konnten.
    Gerade unter ihm dehnte sich ein unregelmäßiger Kreis aus, der durch eine natürliche Hecke von großen Kakteen mit scharfen Spitzen und stachligen indianischen Feigenbäumen gebildet wurde. Einige wenige Eisenholzgebüsche mischten ihr bleiches Laub unter die Feigenbäume und die Kakteen. An dem einen Ende dieses Kreises erhob sich ein Hügel mit flachem Gipfel einige Fuß hoch und beherrschte diese Umzäunung nach allen Seiten hin. Rings um diese

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