Der Waldläufer
fischen, um essen zu können und Zerstreuung zu haben.«
Aber Pepes Scherze waren nicht imstande, die sorgenvolle Stirn des Kanadiers aufzuheitern. »Bemühen wir uns nur, die wenigen Stunden, die uns noch bis zum Tagesanbruch übrigbleiben, nützlich anzuwenden.«
»Wozu?« fragte Pepe.
»Zur Flucht, bei Gott!«
»Wieso?« »Ach, das ist es ja eben, was mich in Verlegenheit setzt«, erwiderte Bois-Rosé. »Du kannst doch ohne Zweifel schwimmen, Fabian?«
»Hätte ich mich sonst aus der ungestümen Flut des Salto de Agua retten können?«
»Es ist wahr! Ich glaube, die Furcht macht mich verwirrt! Nun, vielleicht wäre es nicht unmöglich, ein Loch mitten in dieser Insel zu machen und uns von da aus dem Strom zu überlassen. Die Nacht ist jetzt schwarz genug, um unbemerkt von den Indianern eine ferne Stelle zu erreichen, da sie nicht sehen, daß wir uns in den Fluß werfen. Wartet, ich will erst einen Versuch machen, ehe wir es selbst unternehmen.«
Mit diesen Worten riß der Kanadier einen Weidenstamm von dem natürlichen Floß los, auf dem sie eine Zufluchtsstätte gefunden hatten; das knotige Ende dieses Stammes war einem menschlichen Kopf ziemlich ähnlich. Der alte Jäger legte diesen Holzblock vorsichtig auf die Oberfläche des Flusses, und bald trieb die schwarze Masse sanft stromabwärts.
Die Freunde folgten gespannt einige Augenblicke der geräuschlosen Fahrt, und erst nachdem das Holz in der Dunkelheit verschwunden war, nahm der Kanadier das Wort: »Ihr seht, ein vorsichtiger Schwimmer würde unbemerkt wie dieser Baum vorbeikommen. Kein Indianer hat sich gerührt.«
»Das ist richtig«, sagte Pepe; »wer steht uns aber dafür, daß das Auge des Apachen keinen Menschen von einem Stück Holz unterscheiden kann? Und dann ist auch jemand unter uns, der nicht schwimmen kann.«
»Wer denn?«
Der Spanier zeigte auf den Verwundeten, der im Schlaf auf seinem Schmerzenslager seufzte, als ob sein Schutzengel ihn benachrichtigte, daß die Rede davon sei, ihn allein seinen Feinden zu überlassen.
»Was liegt daran?« antwortete Bois-Rosé zögernd. »Ist das Leben dieses Mannes so viel wert wie das Leben des letzten Sprößlings der Mediana?«
»Nein!« erwiderte der Spanier. »Ich war eben fast entschlossen, diesen Unglücklichen zurückzulassen, aber ich glaube jetzt, daß es eine Feigheit wäre.«
»Dieser Mann«, fügte Fabian hinzu, »hat vielleicht Kinder, die gerade ebenso ihren Vater beweinen, wie ich den meinigen in solchem Fall beweinen würde.«
»Es wäre schlecht gehandelt und würde uns Unglück bringen, Bois-Rosé«, fuhr der Spanier fort.
Die abergläubische Zärtlichkeit des Kanadiers wurde bei diesen Worten seines Gefährten plötzlich unruhig; er bestand nicht mehr darauf, sagte aber: »Gut, Fabian! Du bist ein guter Schwimmer; folge dem Weg, der offen vor dir liegt. Pepe und ich, wir werden zum Schutz dieses Mannes hierbleiben, und wenn wir unser Leben verlieren, so fallen wir als Opfer unserer Pflicht und mit dem freudigen Gedanken, daß du wenigstens gerettet bist.«
Fabian schüttelte den Kopf. »Ich wiederhole es noch einmal«, sagte er: »Ich will das Leben nicht ohne euch und bleibe bei euch.«
»Aber was ist dann zu tun?« fragte der Kanadier.
»Wir müssen suchen«, erwiderten Fabian und Pepe zu gleicher Zeit.
Unglücklicherweise war es einer von den Fällen, wo alle menschlichen Hilfsmittel machtlos sind. Es war eine jener verzweifelten Lagen, aus denen nur eine höhere Macht als die menschliche sie retten konnte. Vergeblich wurde der Nebel immer dichter, die Nacht immer finsterer; der erste Entschluß, den Verwundeten nicht zu verlassen, stellte sich der Flucht der drei Jäger als ein unüberwindliches Hindernis entgegen. Bald wurden von allen Seiten auf beiden Ufern des Flusses von den Indianern Feuer angezündet, die auf das Wasser ein rötliches Licht warfen, von dem der ganze Strom in ziemlich großer Entfernung erleuchtet wurde.
Mit diesem Lichtschimmer wurde auch die letzte Aussicht auf Rettung, die der Kanadier vorgeschlagen hatte, unmöglich, wenn sie auch den Versuch dazu hätten machen wollen. Aber niemand dachte mehr daran. Wären die Feuer nicht gewesen, von denen der Fluß sich rötete, so hätte man sie bei der Stille, die auf den beiden gegenüberliegenden Ufern herrschte, für gänzlich verlassen halten können; denn kein Feind war am Feuer sichtbar, keine menschliche Stimme unterbrach das Schweigen der Nacht.
Unterdessen verdichteten sich die aus dem
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