Der Waldläufer
Friedenshoffnungen, die das Blutbad und der Tod so bald vernichten sollten, geködert hatte, fast gewiß das Leben verlieren; aber was ist der Tod für einen indianischen Häuptling, wenn sein Blut seinem Stamm nützlich sein kann?
Antilope billigte diesen Plan vollständig, aber er wollte selbst als Geisel zurückbleiben. Es lag nur wenig daran, ob der Stamm einen einfachen Krieger verlor, wenn er dafür einen mit vollem Recht berühmten Häuptling behielt. Es war ein hochherziger Wettstreit, der lange dauerte.
»Der Leib des Schwarzen Falken wird wieder gesund werden«, sagte Antilope feierlich. »Er wird dem Stamm bald mit einem kräftigen Körper und einem großen Geist zu Dienste stehen. Wenn der Häuptling stirbt, wird das Klagegeschrei der Krieger viele Monde lang währen – wer wird nach dem Tod der Antilope noch daran denken, daß sie gelebt hat?«
Der Schwarze Falke war immer noch dagegen.
»Mein Körper ist aus Eisen«, erwiderte der Läufer; »das Harz des Feigenbaums ist nicht elastischer als die Hacken der Antilope. Im Augenblick der Gefahr wird sie mit einem Sprung über die Verschanzung der Weißen setzen. Vom Gipfel dieser Anhöhe wird sie bis in die Mitte ihrer Krieger springen. Was wird der Schwarze Falke mit seiner zerschmetterten Schulter tun?«
»Er wird den Tod erwarten, unerschütterlich, die Augen auf seine Feinde geheftet; er wird lachen über ihren Zorn und über ihre Messer.«
Gewiß war dies ein kostbares Leben, das der Läufer seinem Stamm erhalten wollte, und er wurde darum nur noch dringender. »Die Antilope«, sagte er, »wird wie der Schwarze Falke über die Wut ihrer Feinde lachen. Sie wird ihren Messerstößen eine ebenso starke Seele entgegenstellen, aber sie wird eine von keiner Wunde geschwächte Kraft zum Beistand haben.«
Während die beiden Apachen so an Hochherzigkeit miteinander wetteiferten, zählten die Mexikaner in tödlicher Unruhe alle Minuten, die verflossen, ohne daß Don Estévan zurückkehrte. Niemand unter ihnen wünschte seine Rückkehr lebhafter als Gomez, der trotz seiner Prahlereien nichts so sehr fürchtete, als wenn er den beiden Indianern wieder als Unterhändler oder als Chef gegenübertreten sollte.
Ein düsteres Schweigen herrschte im ganzen Lager, als man nach ungefähr einer Stunde den Schwarzen Falken das Zelt verlassen sah; er ging den Hügel hinunter und auf die Gruppe zu, bei der sich Gomez befand. »Meine Krieger«, sagte der Indianer, »sind ebenfalls ungeduldig, aus dem Mund ihres Häuptlings die Hoffnungen auf Frieden und Freundschaft mit den Weißen zu vernehmen. Der Schwarze Falke wird bald unter seine Freunde zurückkehren; er läßt seinen Begleiter als Geisel zurück.«
»Geh!« sagte Gomez im Ton ernster Würde, den er in Gegenwart seiner Gefährten anzunehmen wußte.
Der Indianer ging hinaus, wie er eingetreten war: ohne den Kopf zur Seite zu wenden, ohne scheinbar auch dem geringsten Gefühl von Neugier nachzugeben.
Als der Häuptling bei den vier Kriegern, die ihn erwarteten, angelangt war, sprach er einige Augenblicke mit ihnen. Er schien mit dem Finger auf das Zelt zu zeigen, auf dessen Schwelle der Läufer unbeweglich und ernst wie eine Statue saß. Nach einigen Minuten sahen die Weißen, die ihren Bewegungen mit den Augen folgten, daß sich ein Apachenreiter im Galopp entfernte. Die anderen Indianer blieben, die Zügel ihrer Pferde in der Hand, ebenso ruhig auf der Erde sitzen wie der Läufer auf der Schwelle des Zeltes Don Estévans.
Unterdessen verging die Zeit. Die Sonne war am Horizont verschwunden; einige Wolken von rötlicher Färbung fingen an bleich zu werden und verkündeten das Hereinbrechen der Nacht. Don Estévan, Diaz, Baraja und Oroche, deren Namen die Mexikaner jeden Augenblick wiederholten, wurden immer noch vergeblich erwartet. Die Nacht brach herein und verdoppelte die Unruhe. Die Indianer sind veränderlich und launisch, das wußte jedermann im Lager; ein plötzlicher Angriff konnte auf die Friedensvorschläge folgen, die sie so unbestimmt gemacht hatten.
Gomez suchte diese Unruhe zu beschwichtigen. »Was habt ihr zu befürchten, solange der Indianer unter uns bleibt? Ist nicht seine Ruhe ein Zeichen der Aufrichtigkeit seiner Absichten?«
Der schwarze Schatten von Antilope, der im Lager zurückgeblieben war, ließ sich trotz der Nacht immer noch unterscheiden. Der indianische Läufer hatte seine Stellung nicht verändert; nur wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sehen können, wie er leicht das
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