Der Waldläufer
soll.
»Jetzt sind es schon zwei Schelme weniger und ein Einschnitt auf unserer Büchse mehr«, sagte Pepe in der Art einer Leichenrede; »es war ein teurer Schuß!«
Aber Bois-Rosé dachte an alles andere als daran, ein Siegeszeichen mehr in einen Kolben einzugraben, wo es bald an Platz zu fehlen drohte. Er dachte zuerst, daß sie durch das Herabstürzen der beiden Decken nach der Seite des Wasserfalls hin ohne Schutz blieben; daß die Tannenstämme sie nicht mehr so wirksam deckten und es unmöglich war, auch nur daran zu denken, ihre herabgeworfene Verschanzung wieder aufzurichten.
Ein Umstand, aus dem er einen Vorteil zu ziehen suchte, nahm ebenfalls seine Augen und seine Gedanken ganz in Anspruch. Der Indianer, der von der Höhe des Felsens in den See hinabgestürzt war, hatte in seinem Fallen Büschel langen Grases, die an seinen Vorsprüngen fast in gleicher Höhe mit dem Wasser wuchsen, herausgerissen und das dichte Schilf geknickt, dessen schwärzliche Kronen und grüne Stengel sich mit dem herabhängenden Gras mischten. Das zerknitterte und auseinandergerissene Schilf ließ einen gähnenden Schlund wie die Öffnung eines Kellergewölbes erblicken. Dieses Gewölbe schien der Eingang zu einem ziemlich breiten, jedoch sehr dunklen Kanal zu sein.
Man erinnert sich vielleicht, daß dies die Öffnung des unterirdischen Kanals war, in den Baraja am Tag vorher Main-Rouge und Sang-Mêlé auf ihrem Rindenkanu hatte hineinfahren sehen. Der Kanadier wußte diesen Umstand nicht; aber er dachte mit dem Scharfsinn, den seine lange Erfahrung bei ihm entwickelt hatte, an den Vorteil, den er daraus ziehen könnte, wenn der Hunger mehr als der Feind ihn zur Flucht zwingen würde. Beim Nachdenken über diese Entdeckung verlor jedoch Bois-Rosé den Verbindungspunkt nicht aus den Augen, wo die Felsenkette, die die Festung der Belagerer bildete, sich mit den Nebelbergen vereinigte, deren Verlängerung sie durch eine Laune der Natur zu sein schien.
Allem Anschein nach mußte der Gefährte des Indianers, den seine Büchse niedergestreckt hatte, überzeugt, daß es wegen der Gefahr unmöglich sei, den von ihm eingenommenen hohen Posten zu behaupten, sich zu den übrigen Belagerern zurückziehen. Der enge Pfad, der die Felsen mit den Bergen verband, war nicht so geschützt, daß nicht noch Raum genug dagewesen wäre, um den Mann aufs Korn zu nehmen, der ihn verfolgte.
Bois-Rosé hatte sich nicht getäuscht. Sein durchdringender Blick unterschied bald den flatternden Kopfschmuck eines indianischen Kriegers, der sich bald hob, bald senkte, dann verschwand und bald wieder erschien. Einen Augenblick blieb der Busch von Adlerfedern unbeweglich. Da der Kanadier gewiß wußte, daß sein Feind ihn beobachtete, so rührte er sich nicht und schien den Kopf nach einer anderen Richtung zu wenden. Der wilde Krieger wollte vielleicht bequemer auf seinen Feind zielen, der nicht auf der Hut zu sein schien; vielleicht wollte er auch – was noch wahrscheinlicher war – eine von den albernen Prahlereien begehen, die die Indianer trotz ihres scheinbar unerschütterlichen Ernstes zuweilen gern ausüben, da sie ihrem Mut schmeicheln – kurz, er zeigte sich ganz und gar auf dem Gipfel des Felsens. In der Tat schwenkte der Apache seine Büchse, ohne zu zielen, und stieß ein beleidigendes und herausforderndes Geheul aus.
Das Geheul hatte aber kaum begonnen, als es schon mit einem Schrei des Todeskampfes endigte. Die Kugel des Jägers hatte den Indianer erreicht. Seine Büchse entschlüpfte seinen Händen, und der Indianer selbst gehorchte einem jener seltsamen Antriebe des menschlichen Körpers, wenn der Tod ihn mitten in seiner Kraft überrascht: Er machte zwei Sprünge vorwärts und rollte dann in das Val d'Or hinab, wo er sich nicht mehr rührte.
»Frischauf«, sagte Pepe; »das geht gut! Bois-Rosé vergeudet sein Pulver nicht.«
Während der Zeit hatte sich Bois-Rosé kriechend seinen beiden Gefährten genähert, und jeder drückte ihm die Hand als Zeichen schweigenden Triumphes und stummer Freundschaft.
»Der Steppenräuber da unten«, sagte Bois-Rosé, »ahnt nicht, daß er auf Goldhaufen ruht.«
»Ach, Bois-Rosé«, erwiderte Pepe, »es ist sehr schmerzlich, zu denken, daß dieses Gold uns ebensowenig als ihm dienen kann und daß es uns nicht einmal einen Bissen zwischen die Zähne zu bringen vermag. Es ist auch betrübend, mitten in einer so kritischen Lage, wie die unsrige ist, noch einen Appetit zu haben, den man nicht befriedigen
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