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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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war deshalb nicht zweifelhaft; nachdem jedoch der Indianer so gesprochen hatte, unterdrückte er durch eine gewaltige Anstrengung seines Willens das stürmische Klopfen seines Herzens, das nicht mehr lang in der Brust eines Kriegers schlagen sollte.
    Während der Indianer, dessen Schicksal soeben unzweifelhaft entschieden war, mit bewunderungswürdigem Mut eine Gleichgültigkeit zeigte, die seinem Herzen sehr fern lag, mußten sich die anderen derselben Förmlichkeit unterziehen. Das geschah mit demselben Ernst, mit demselben Schweigen. Jeder von den Kriegern suchte etwas darin, dem anderen nicht an Ergebung nachzustehen, und es bedurfte der ganzen unbarmherzigen Hartherzigkeit der beiden Zeugen dieses Heldenmutes, um nicht mit dem Schicksal dieser Tapferen Mitleid zu fühlen, die dem Tod entgegengingen: Opfer der Willkür eines Häuptlings und der Habgier seiner Bundesgenossen.
    Die beiden Freibeuter der Prärien waren aber weit vom Mitleid entfernt und nahmen an diesem Schauspiel das ganze Interesse, mit dem die Römer einst den blutigen Festen im Zirkus zuschauten. Sieben und zwölf waren die beiden niedrigsten Würfe, die man bis jetzt gemeldet hatte, und es war nur noch ein Indianer übrig, der nicht um Leben oder Tod gewürfelt hatte. Es war nicht wahrscheinlich, daß seine Hand ebenso unglücklich sein würde als die von Felsenherz. Die höchste Zahl nach zwölf war siebzehn; man konnte also hoffen, daß eine höhere Nummer als die letztere geworfen würde. Auch konnte sich der Apache trotz seiner Anstrengungen nicht enthalten, durch ein nervöses Erbeben jene Liebe zum Leben zu verraten, die niemals erlöschen will. Der Amerikaner zog die Augenbrauen zusammen: der Mestize warf verächtlich die Lippen auf; die Indianer ließen ein dumpfes Murren vernehmen.
    Der Krieger ließ die Hand ruhen, die eben die Knöchel hinwerfen wollte, warf einen traurigen, nachdenklichen Blick umher und sagte, um seine Schwäche zu entschuldigen: »In der Hütte von Lufthauch befinden sich eine junge Frau, die erst seit neun Monden darin wohnt, und der Sohn eines Kriegers, der heut erst seine dritte Sonne erblickt.«
    Und der Indianer warf die Knöchel hin.
    »Elf!« rief der alte Räuber beinahe freudig aus, der es ganz staunenswert fand, daß man sein Weib und seinen Sohn lieben könne.
    »Schmerz und Hunger werden die Gäste in der Hütte von Lufthauch sein«, fügte der Indianer mit sanfter, wohlklingender Stimme hinzu, von der er auch seinen Namen erhalten hatte. Sein letzter Gedanke galt den beiden schwachen Wesen, denen die Liebe und der Schutz eines Kriegers zugleich fehlen sollte. Er setzte sich schwermütig abseits, und man beschäftigte sich nicht mehr mit ihm.
    Sang-Mêlé warf auf seinen Vater einen triumphierenden Blick der Überlegenheit, worauf dieser mit einem Lächeln wie ein Jäger in guter Laune antwortete, denn das Blut sollte ja unter seinen Augen fließen.
    Da nach dem Plan des Mestizen die Krieger nur einer nach dem anderen geopfert werden durften, so kam man überein, zum zweitenmal das Los zu ziehen, wem die schreckliche Ehre zufallen würde, zuerst vorzugehen. Der alte Freibeuter schien begierig, die Aufregung zu verlängern, die ihm dieses Spiel verursachte, denn er hatte diese neue Lotterieziehung veranlaßt.
    Dem Lufthauch verblieb der Vorteil oder, wenn man lieber will, der Nachteil, der letzte zu sein.
    »Seid ruhig, Kinder«, sagte der Amerikaner mit einer stolzen Gebärde, die seine Farbe ihm einflößte, und der sich keine Mühe gab, die beredte, blumenreiche Sprache der Indianer zu gebrauchen; »ich werde mir eine Pflicht daraus machen, eure Leichen in den Schlund des Wasserfalls zu werfen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn man den Versuch machen wollte, dort eure Skalpe zu holen.«
    Baraja war ein stummer Zuschauer all dessen geblieben, was sich eben, ohne daß er davon wußte, zugetragen hatte. Der indianische Dialekt war unverständlich für ihn, und er suchte vergeblich das Interesse zu erraten, das die Indianer an dieser mitten unter den Vorbereitungen zur Belagerung der Pyramide plötzlich begonnenen Knöchelpartie nehmen konnten. Zwei Gefühle kämpften in seinem Herzen und nahmen ihn ganz in Anspruch.
    Furcht und Habgier schienen um die Wette seine geistigen Kräfte zu verdunkeln. Zwanzigmal riet ihm die Furcht, dem Mestizen zu gestehen, daß der Schatz, nach dem er so gierig strebte, beinahe im Bereich seiner Hand sei, und ebensooft erstickte die Habgier das Wort auf seinen

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