Der Waldläufer
aber die Neugierigen nicht; sie mußten sich jedoch schon damit zufriedengeben, denn sie sahen, wie der Mann mit dem Taschentuch wieder vorüberritt und sich rasch in nördlicher Richtung entfernte. –
Der Unbekannte hielt sein Wort. Am folgenden, zur Abreise bestimmten Tag war er zum Abendangelus wie am Abend vorher zurückgekommen.
Die beiden Diener Don Agustins nahmen Abschied von ihrem Wirt und versicherten ihn der zuvorkommendsten Aufnahme, wenn seine Geschäfte ihn jemals zur Hacienda del Venado führen sollten. Der Ärmste in diesen noch im ursprünglichen Zustand befindlichen Gegenden würde erröten, eine andere Belohnung für seine Gastfreundschaft anzunehmen als einen aufrichtigen Dank und das Versprechen, ebenfalls auf eine gleiche Gastfreundschaft rechnen zu können.
Die drei Reiter entfernten sich nun in scharfem Trab. Das Pferd des Unbekannten stand in keinem Punkt an Kraft und Feinheit denen nach, die die beiden Diener Don Agustins ritten.
Der Weg wurde schnell zurückgelegt, und am Morgen des dritten Tages bemerkten die Reisenden schon undeutlich in der Ferne den Turm der Hacienda del Venado. Kurze Zeit darauf stiegen sie im Hof ab. Obgleich dies zu der Stunde geschah, wo die aufgehende Sonne ihre ersten, erfreuenden Strahlen herabsendet, so lag doch etwas wie ein Anstrich von Trauer über dem Gebäude und seiner Umgebung, die das Morgenlicht nicht gänzlich zerstreuen konnte. Man hätte sagen können, daß die Schwermut der Herrschaft sich aus dem Innern auch über das Äußere verbreitete.
Der Kummer verzehrte Doña Rosarita. Unruhe nagte an dem Hacendero, der sie zugrunde gehen sah.
Trotz der schrecklichen Lage, in der sich die Tochter Don Agustins vor sechs Monaten am Tag des Kampfes an der Red Fork befunden hatte, hatte sie doch da die Überzeugung gewonnen, daß Fabian noch lebe. Am Morgen hatte sie seine Stimme erkannt; einige Stunden später hatte sie mit dem wunderbaren Instinkt der Frauen, als sie in den Armen Rayon-Brûlants über das Schlachtfeld getragen wurde, Fabian unter dem Schutz der Streitaxt eines Unbekannten kämpfen sehen. Warum war Tiburcio, wie sie ihn immer noch nannte, nicht zur Hacienda zurückgekehrt? Weil er tot war oder sie nicht liebte; und aus dieser Alternative entstand der tiefe Gram Rosaritas.
Eine andere Unruhe für den Hacendero war der Mangel an jeder Nachricht über den Herzog von Armada; dann mischte sich in diese Unruhe auch etwas Ungeduld. Die verabredete Vermählung seiner Tochter mit dem Senator war das Werk Don Estévans. Tragaduros drang auf Vollziehung der Hochzeit. Don Agustin sprach darüber mit Rosarita; aber nur Tränen waren die Antwort, und der Vater wartete noch.
Indessen entschloß sich Peña doch nach sechs Monaten, dem ein Ende zu machen und zum Presidio zu schicken, um Nachrichten über die von dem spanischen Señor befehligte Expedition einzuziehen. Es war die letzte Frist, um die die arme Rosarita gebeten hatte.
Der Senator war auf einige Tage verreist, und der Hacendero war schon lange aufgestanden, als der Haushofmeister ihn von der Ankunft eines Fremden, der seine Ungewißheit beseitigen könnte, benachrichtigte. Er gab den Befehl, ihn in den dem Leser schon bekannten Saal zu führen. Doña Rosarita wurde gerufen und fand sich bald bei ihrem Vater ein.
Einige Augenblicke nachher stellte sich der Unbekannte vor. Ein großer Filzhut, den er beim Eintritt mit der Hand berührte, ohne ihn abzunehmen, beschattete sein Gesicht, auf dem man zahlreiche bestandene Gefahren ablesen konnte. Unter der breiten Krempe seines Hutes hing ein Taschentuch von roter Baumwolle so tief auf seine Stirn, daß es seine Augenbrauen ganz bedeckte.
Der Fremde betrachtete neugierig die Tochter Don Agustins.
78 Die Erzählung
Der Kopf von Doña Rosarita war in eine seidene Schärpe gehüllt, unter der die langen Flechten ihrer schwarzen Haare über den Busen herabfielen. Ihr Gesicht trug die Spuren eines langen, geheimen Leidens. Als sie sich setzte, flog über ihr blasses Gesicht ein Schein von ängstlicher Unruhe. Sie schien das Herankommen des Augenblicks zu fürchten, in dem sie nicht mehr von der Vergangenheit träumen durfte, sondern eine Zukunft annehmen mußte, in die sie nicht hineinzublicken wagte.
Als der Fremde ebenfalls Platz genommen hatte, sagte der Hacendero: »Großen Dank, mein Freund, daß Ihr hergekommen seid, mir Nachrichten zu überbringen – obgleich ich ahne, daß sie sehr traurig sein müssen. Aber wir müssen alles erfahren.
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