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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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jungen Mannes, den dieser auf die verschiedenförmigen Kerben richtete, bemerkte, »Ihr zählt ohne Zweifel meine Skalpe?«
    »Eure Skalpe?« wiederholte mit erstaunter Miene Tiburcio, der die Sitten der sonderbaren Klasse von Menschen, zu der der Jäger gehörte, nicht kannte.
    »Sehr richtig!« erwiderte der Kanadier. »Die Indianer, die Heiden sind, zählen die Menge ihrer Schlachtopfer nach der Anzahl der Skalpe, die sie genommen haben; aber wir anderen Waldläufer, wir zählen unsere Siegestrophäen, wie es sich für Christen geziemt. Diese Kreuze bedeuten die Feinde, die ich im ehrlichen Kampf auf dem Kriegspfad, wie die Indianer sagen, getötet habe.«
    »Aber ich sehe wenigstens zwanzig solcher Kreuze!« rief Tiburcio.
    »Nähmt Ihr das Doppelte, so würdet Ihr Euch doch noch um einige verrechnen«, erwiderte lächelnd der Jäger. »Seht, diese Kreuze mit einem Querstrich bezeichnen die Apachen, und Ihr werdet ihrer etwa zehn zählen. Diese doppelten Kreuze – und es sind ihrer sieben – wollen sagen, daß ebenso viele Sioux-Indianer ihren Todesschrei ausgestoßen haben. Diese Kreuze mit doppeltem Querstrich sind Pawnees, die ich in das Land der Geister gesandt habe; laßt sehen – es sind acht. Diese Sterne – vier an der Zahl – sind Crows, die jetzt in der Ewigkeit jagen. Ach«, fuhr der Kanadier fort, indem er neun parallele Striche zählte, »hier sind gerade so viele Flachköpfe, die dank meiner Bemühung niemand mehr bestehlen werden; endlich diese kreisförmigen Zeichen, die ich nicht zähle, sind Schwarzfüße, die für immer den Jagdgründen der Prärien lebewohl gesagt haben. Nun frage ich Euch, was ich wohl mit all diesen Skalpen hätte machen sollen? Ich überlasse solche Trophäen der indianischen Eitelkeit«, schloß der Waldläufer sehr naiv.
    Tiburcio hörte diesen Triumphgesang des ehrlichen Kanadiers mit ebenso großem Erstaunen an, als einst der Schreiber dieser Zeilen empfand, als einer dieser schrecklichen Indianertöter ihn auf dem Schaft seiner Büchse zweiundfünfzig Gedenkstriche zählen ließ, die er während seiner Reisen und Kämpfe an den Grenzen Nordamerikas und Mexikos eingeschnitten hatte.
    »Wohlan«, nahm der Kanadier wieder das Wort, »hatte ich unrecht, Euch zu sagen, daß Ihr auf einen Freund zählen könnt, der wohl soviel wert ist als ein anderer?« Und die Tat mit dem Wort verbindend, reichte der Kanadier Tiburcio seine breite Hand mit einem Ausdruck von Freimütigkeit und Ehrlichkeit, die beredter für ihn sprach als sein Mund; und dieser letztere dankte ihm in der verzweifelten Lage, in der er sich befand, mit überströmenden Gefühlen.
    »Eine geheime Stimme«, fügte er hinzu, »sagte mir, daß dieses Licht, das ich oben von der Hacienda her im Wald blitzen sah, ein freundliches für mich sein mußte.«
    »Ihr habt Euch nicht getäuscht«, erwiderte Bois-Rosé. »Aber verzeiht bitte einem alten Mann Fragen, die Euch vielleicht indiskret erscheinen: Habt Ihr, so jung, schon keinen Vater mehr, bei dem Ihr Zuflucht suchen könntet?«
    Eine lebhafte Röte bedeckte bei dieser Frage die Wangen Tiburcios, der einen Augenblick schwieg und kurz darauf erwiderte: »Warum sollte ich Euch nicht – überall von Feinden umgeben, von einem Mädchen verschmäht, das ich noch liebe – gestehen, daß ich allein auf der Welt stehe, daß ich weder Vater noch Mutter habe?«
    »Sie sind tot?« sagte Bois-Rosé mit teilnehmender Miene.
    »Ich habe sie niemals gekannt!« antwortete der junge Mann mit leiser Stimme.
    »Ihr habt sie niemals gekannt, sagt Ihr?« rief der Kanadier, sprang plötzlich auf, ergriff einen noch flammenden Feuerbrand und beleuchtete damit das Antlitz Tiburcios.
    Dieser Feuerbrand, so leicht er auch war, schien doch zentnerschwer in der Hand des Riesen zu wiegen, so sehr schwankte seine Hand von krampfhaftem Zittern, als er nach und nach mit der Flamme alle Teile seines Gesichts beleuchtet und ihn mit einer Stimme, die die Aufregung ebenfalls zittern ließ, fragte: »Aber Ihr wißt wenigstens, in welchem Land Ihr geboren seid?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Tiburcio. »Aber warum all diese Fragen? Welches Interesse könnt Ihr an Ereignissen nehmen, denen Ihr doch fremd sein müßt, da Ihr ein Fremder in diesem Land seid?«
    »Fabian! Fabian!« sagte Bois-Rosé, der, ohne es zu wollen, den Ausdruck seiner rauhen Stimme milderte, als ob er zu einem kleinen Kind spräche. »Was ist aus dir geworden?«
    »Fabian? Ich kenne diesen Namen nicht... Fabian!«

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