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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Senior. Ich will mich nicht an Euch bereichern, so wahr es Jesus Christus gibt.«
    »Versündige dich nicht an Jesus, unserem Herrn!«, mischte sich da schon wieder einer der Zwillinge ein. Seine Stimme klang sehr fromm.
    »Ja, lass das besser sein«, sagte der andere. »Unser Herr Jesus hat anderes zu tun, als auf Marktplätzen kleine Jungen zu beobachten, die Ferkel verkaufen. Es sitzt bekanntlich zur Rechten Gottes und ...«
    »... und manchmal wandelt er auch auf Erden und zeigt sich denen, die auserwählt sind!«, platzte Ozo heraus. Er wusste nicht, warum er dies gesagt hatte, aber es war ihm plötzlich in den Sinn gekommen, denn er hatte das Gefühl, dass er damit dem Gespräch eine andere Wendung geben konnte.
    »Was wird hier gespielt?« Der Bauer begriff überhaupt nichts mehr.
    »Jetzt fehlt nur noch, dass du behauptest, Jesus habe sich dir auf Erden gezeigt«, grinste der erste Zwilling breit.
    »Womöglich, während du ein Ferkel auf deinen starken Armen trugst?«, ergänzte der andere süffisant.
    »Nimm mir die Sau vom Gesicht weg«, sagte der Bauer.
    Ozo tat es. »Aber genauso war's!«, rief er. »Ich hab unseren Herrn Jesus vor ein paar Monaten gesehen, ich glaub, es war im März, unten an den Flusswiesen vom Pajo, wo ich unsere Schafe immer hüte. Er hat sich mir gezeigt. Mir und keinem anderen!«
    »Angeber!«, rief der erste Zwilling. »Sag das noch mal«, sagte der zweite Zwilling zu Ozo.
    »Er trug einen grauen Kittel, der aussah wie 'ne Mönchskutte, er hatte blonde, lange Haare wie'n Engel, und er unterhielt sich mit unsichtbaren Geistern.«
    »Jetzt ist er total übergeschnappt«, stellte der erste Zwilling fest.
    »Völlig plemplem«, bestätigte der zweite. Der Bauer schlug hastig das Kreuz.
    »Er hatte sich einen Stock oder so was über die Schultern gelegt, und er hinkte.« Nachdem er nun einmal davon angefangen hatte, wollte Ozo nicht zurückstecken, zumal er merkte, dass Nina ihn interessiert musterte.
    »Wie sah er denn aus?«, fragte sie mit ihrer süßen Stimme. Offenbar war sie die Einzige, die nicht von vornherein an seinen Worten zweifelte.
    »Oh, er hatte ein wundervolles Antlitz. So erhaben! Die Augen waren zum Himmel gerichtet, irgendwie war so ein leidender Ausdruck drin!« Ozo hatte das Gesicht seinerzeit gar nicht sehen können, aber seine Phantasie hatte diesen, in seiner Erinnerung fehlenden Baustein längst ergänzt.
    »Ich habe dieses Gesicht auch schon gesehen«, erklärte der erste Zwilling nach einer Weile.
    »Ich auch«, echote der zweite. »Es gehört der geschnitzten Jesusfigur, die in der Kirche über dem Altar hängt.« Der Bauer hatte sich mittlerweile aus dem Staub gemacht. Stattdessen waren einige andere Marktbesucher herangetreten. Besonders die Frauen verfolgten mit wachsendem Interesse die Unterhaltung.
    »Ihr Idioten!«, schrie Ozo erbost. »Ich habe den Herrn Jesus wirklich gesehen. Er trug einen grauen Kittel, und er hatte 'nen Stock quer über die Schultern!« Er merkte nicht, dass er sich vor Aufregung wiederholte, denn Nina schaute ihn unverwandt an. Das tat ihm gut. Mit neuem Schwung redete er weiter. »Ich hab's genau gesehen: Er trug 'ne Kiepe auf dem Rücken. Er war nicht besonders gut zu Fuß, als wär er schon 'ne lange Strecke gegangen, seine Jünger waren nicht bei ihm, aber er sprach die ganze Zeit mit einem Meister. Das war unser Herrgott.«
    Ozo war jetzt richtig in Fahrt: »Plötzlich entdeckte er mich. Er ging auf mich zu, und ein wunderbares Gefühl überkam mich. »Ozo, mein Sohn«, sagte er, »ich habe dich auserkoren, etwas ganz Besonderes zu werden: Du sollst der reichste, tapferste Mann von ganz Spanien werden, wenn du nur an mich glaubst!« - »Ich glaube an dich, oh Christus! «, rief ich und fiel vor ihm auf die Knie. Er hob mich auf, für einen Augenblick konnte ich nichts mehr erkennen, so hell war alles um mich herum. Als ich wieder sehen konnte, war Jesus Christus verschwunden.«
    Ozo verhielt für einen Moment. Um ihn herum war es still geworden. Man hätte eine Nadel fallen hören können. Er blickte triumphierend in die Runde: »Das alles habe ich selbst erlebt, ich schwör's bei der Heiligen Jungfrau!«
    Ninas süßer Mund stand vor Aufregung offen. Ozo sah es mit Genugtuung.
    Die Menge begann unruhig zu werden. Sollte dieser Junge tatsächlich eine Begegnung mit dem Gekreuzigten gehabt haben? Vielen war Ozo als fauler, keineswegs frommer Bengel bekannt, aber man hatte ja schon häufig gehört, wie aus einem Saulus ein

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